Robert Klatt
Übergewichtige Jungen haben nach der Pubertät ein geringeres Hodenvolumen. Im Erwachsenenalter nimmt dadurch das Risiko für Unfruchtbarkeit zu.
Catania (Italien). In der Medizin geht man davon aus, dass männliche Infertilität (Unfruchtbarkeit) in etwa der Hälfte der Fälle für die ungewollte Kinderlosigkeit von Paaren verantwortlich ist. Der Grund der männlichen Sterilität kann trotz umfassender Untersuchungen oft nicht gefunden werden. Eine Studie der Hebrew University of Jerusalem (HUJI) zeigte jedoch kürzlich, dass die durchschnittliche Spermienkonzentration kontinuierlich abnimmt. Parallel dazu nimmt die Adipositasprävalenz bei Kindern stetig zu.
Prognosen gehen davon aus, dass mehr als die Hälfte (60 %) der aktuell lebenden Kinder im Alter von 35 Jahren an Fettleibigkeit leiden könnten. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) spricht bei Übergewicht und Adipositas in Europa bereits von einem epidemischen Ausmaß. Verantwortlich für die rapide Zunahme von Übergewicht könnten verändernde Umweltfaktoren wie die Belastung durch endokrin aktive Chemikalien sowie persönliche Verhaltensweisen wie unzureichende körperliche Aktivität oder ernährungsbedingte Störungen sein.
Ob Adipositas (Fettleibigkeit) auch das Hodenwachstum beeinflusst, wurde bisher nicht systematisch erfasst. Forscher der University of Catania haben deshalb eine Studie durchgeführt, die die Auswirkungen von Stoffwechselveränderungen, wie Hyperinsulinämie und Insulinresistenz auf das Hodenvolumen von präpubertären, peripubertären und postpubertären Jungen untersucht hat.
Laut der Publikation im European Journal of Endocrinology ist das Hodenvolumen bei normalgewichtigen peripubertären Jugendlichen signifikant höher als bei übergewichtigen oder adipösen Gleichaltrigen. In den anderen Altersgruppen konnten keine signifikanten Unterschiede erkannt werden, wenn die Daten nach dem Body-Mass-Index (BMI) analysiert wurden.
Für prä- und postpubertäre Jugendliche zeigten diejenigen mit normalem Insulinspiegel ein beträchtlich größeres Hodenvolumen im Vergleich zu Individuen mit Hyperinsulinämie. Bei peripubertären Jungen war das Hodenvolumen bei Hyperinsulinämie signifikant größer als bei normalen Insulinspiegeln.
Postpubertäre Jugendliche mit Insulinresistenz zeigten eine Verringerung des Hodenvolumens, während peripubertäre Jungen mit Insulinresistenz ein erhöhtes Hodenvolumen aufwiesen, im Vergleich zu jenen ohne Insulinresistenz. Im Hinblick auf die Insulinresistenz konnten bei Kindern unter 9 Jahren keine Unterschiede festgestellt werden.
Rossella Cannarella, Doktorandin in der Abteilung für klinische und experimentelle Medizin, erklärt, dass die Studienergebnisse nahelegen, dass Übergewicht im Kindes- und Jugendalter die Hodenfunktion von Männern im Erwachsenenalter beeinträchtigt.
„In dieser Studie fanden wir heraus, dass Übergewicht oder Fettleibigkeit mit einem geringeren peripubertären Hodenvolumen verbunden war. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass adipositasbedingte Komorbidität wie Hyperinsulinämie und Insulinresistenz das Hodenvolumen vor und nach der Pubertät negativ beeinflussen. Daher vermuten wir, dass eine sorgfältigere Kontrolle des Körpergewichts in der Kindheit eine Präventionsstrategie für die Aufrechterhaltung der Hodenfunktion im späteren Leben darstellen könnte.“
European Journal of Endocrinology, doi: 10.1093/ejendo/lvad033