Robert Klatt
Anspruchsvolle Programmieraufgaben beanspruchen vor allem das Sprachzentrum und nicht wie erwartet das logisch-mathematische Denken.
Saarbrücken (Deutschland). Laut einer bereits 2016 im Fachmagazin PNAS publizierten Studie treten im Gehirn von Mathematikern einzigartige Aktivitätsmuster. Die Lage, der beim Lösen von mathematischen Problemen aktiven Gehirnareale zeigt, dass abstrakte Mathematik ohne Zahlen vom Gehirn nicht, wie zuvor angenommen, wie Linguistik behandelt wird, sondern in den Regionen verarbeitet wird, die auch für Zahlensinn zuständig sind.
Ähnlich wie mathematische Formeln gehört auch Programmcode zu den sogenannten formalen Sprachen, die klar definierten Regeln unterliegen. In den Neurowissenschaften ging man deshalb aufgrund der Studie, die die Gehirnaktivität der Mathematiker untersucht hat, davon aus, dass auch beim Programmieren vor allem das logisch-mathematische Denken beansprucht wird.
Wissenschaftler der Universität des Saarlands und Technischen Universität Chemnitz haben nun untersucht, ob die von vielen Neurowissenschaftlern als korrekt angenommene These tatsächlich der Realität entspricht. Dazu hat das Team um Sven Apel laut ihrer im Fachmagazin Communications of the ACM erschienen Studie mithilfe der funktionellen Magnetresonanz-Tomografie (fMRT) die Gehirne von 17 Informatikstudenten untersucht, die dabei einen Programmcode verstehen und auf Fehler untersuchen sollten.
Wie Apel erklärt, ist das Problem dabei, dass „wenn man Programmierer nur dabei beobachten, wie sie mit dem Quellcode arbeiten, zwar eine Menge aktiver Hirnareale sichtbar sind, aber man nicht weiß, welche davon direkt mit dem Akt des Programmverstehens verknüpft sind.“
Die Probanden absolvierten deshalb eine zweite Aufgabe, bei der sie Programmcode auf Syntaxfehler untersuchten. Es handelt sich dabei um eine recht anspruchslose Routinetätigkeit. Laut den Forschern konnte so analysiert werden, welche Hirnareale bei der simplen Kontrolle der Codes und welche beim komplexe Verstehen des Codes aktiv sind. Außerdem wurden die Hirnaktivität der Kontrollbedingung herausgerechnet, um in den Resultaten der fMRT nur noch die Regionen des Gehirns zu sehen, die bei den beiden Aufgaben wirklich genutzt wurden.
Wie Apel erklärt, „konnten die Wissenschaftler keine Aktivität in Richtung mathematischen oder logischen Denkens beobachten – obwohl dies zu der Annahme passen würde, dass Programmieren ein formaler, logischer und mathematischer Prozess ist.“ Stattdessen zeigen die überraschenden Studienergebnisse vor allem in der linken Hirnhälfte, die natürliche Sprache verarbeitet, eine hohe Aktivität. Zu gehören unter anderem Regionen des Broca-Zentrums, das für die sprachliche Semantik und das Leseverständnis zuständig ist.
Der niederländische Informatiker Edsger W. Dijkstra hat diese Vermutung bereits in den 1989er Jahren geäußert. Erstmalig belegt wurde seine These aber erst jetzt. In Zukunft könnten die Ergebnisse beim Design neuer Programmiersprachen und in der Ausbildung von Programmieren helfen. Apel und sein Team wollen in Folgestudien nun untersuchen, ob bei Experten und Anfängern beim Programmieren Unterschiede in der Hirnaktivität auftreten.
PNAS, doi: 10.1073/pnas.1603205113
Communications of the ACM, doi: 10.1145/3347093