Robert Klatt
Das Alzheimerrisiko scheint bei Menschen, die Viagra nehmen, deutlich geringer zu sein. Eine klinische Studie soll diesen Zusammenhang nun systematisch untersuchen.
Cleveland (U.S.A.). Der in Viagra enthaltene Wirkstoff Sildenafil soll eigentlich gegen Impotenz und Lungenhochdruck helfen. Dazu hemmt das Mittel das Enzym Phosphodiesterase-5 (PDE-5) und führt so zu einer Erweiterung der Blutgefäße. Laut Studien hat diese Enzymhemmung aber noch eine Reihe von weiteren Effekten, die sich etwa auf Fettzellen und den Herzmuskel auswirken. Wissenschaftler des Lerner Research Institute der Cleveland Clinic haben nun eine weitere Wirkung von Sildenafil entdeckt.
Laut ihrer Publikation im Fachmagazin Nature Aging haben die Forscher um Jiansong Fang rund 1.600 bereits zugelassenen Medikamente auf eine mögliche Wirkung gegen die Alzheimer-Demenz untersucht. Sie entwickelten dafür ein molekulargenetisches Modell, das die Proteininteraktionen der Krankheit abbildet.
„Jüngste Studien zeigen, dass das Wechselspiel zwischen Amyloid- und Tau-Proteinen stärker zu Alzheimer beiträgt als beide Proteine für sich genommen. Deshalb haben wir postuliert, dass Wirkstoffe, die am molekularen Netzwerk zwischen diesen beiden Proteinen ansetzen, das größte Potenzial für eine Erfolg haben müssten“, erklärt Feixiong Cheng.
Medikamente, die nur die typische Verklumpung der Amyloid-Proteine hemmen, haben bei der Behandlung von Alzheimer-Demenz oft nur schlechte Ergebnisse erzielt. Das Ziel der Studie war es deshalb einen Wirkstoff zu finden, der speziell das Wechselspiel zwischen Amyloid- und Tau-Proteinen beeinflusst.
Insgesamt fanden sie 66 Kandidaten, von denen Viagra am vielversprechendsten war. „Sildenafil präsentierte sich als bester Kandidat für eine mögliche Wirkung gegen Alzheimer“, so Cheng. Zur Überprüfung analysierten die Forscher Gesundheitsdaten von sieben Millionen US-Amerikanern Sie konnten so vergleichen, ob eine Sildenafil-Verschreibung das Alzheimerrisiko beeinflusst.
„Die Einnahme von Sildenafil war gegenüber Teilnehmern ohne Sildenafil signifikant mit einem um 69 Prozent reduzierten Risiko einer Alzheimer-Erkrankung verknüpft“, erklären die Forscher. Bei vier anderen Wirkstoffen sank das Risiko ebenfalls um 55 bis 65 Prozent. „Zusammengenommen sprechend diese Ergebnisse dafür, dass Sildenafil ein Wirkstoffkandidat für die Prävention oder Behandlung von Alzheimer sein könnte“, konstatieren die Wissenschaftler.
Erklärt werden kann die Wirkung dadurch, dass das von Sildenafil gehemmte Enzym auch im Gehirn existiert. Versuche mit Mäusen bestätigen, dass der Wirkstoff die Aktivität von zwei Proteinen im Gehirn hemmt, die an der Entstehung fehlgebildeter Tau-Proteine beteiligt sind.
Die Wissenschaftler überprüften dies mit Zellkulturen von Alzheimerpatienten, die sie im Labor mit Sildenafil behandelten. Auch hier sorgte der Wirkstoff dafür, dass sich weniger Tau-Proteinfasern ansammelten. „Das stützt das Potenzial von Sildenafil gegen Alzheimer auch in Bezug auf den Mechanismus“, erklären die Autoren.
Um einen klaren kausalen Zusammenhang zu beweisen, ist jedoch noch eine systematische klinische Studie erforderlich. „Wir planen bereits eine Phase-II-Studie mit Alzheimerpatienten, um Kausalität und klinische Wirkung von Sildenafil zu bestätigen“, sagt Cheng.
Nature Aging, doi: 10.1038/s43587-021-00138-z