Dennis L.
Mediziner wollen Virtual Reality-Brillen vermehrt für therapeutische Behandlungen einsetzen. Im Fokus der Suche nach geeigneten Therapien stehen dabei vor allem psycho-soziale Störungen. Forscher aus Kanada haben nun einen interessanten Therapievorschlag zur Behandlung von Menschen mit Glücksspielsucht mithilfe von VR-Brillen gemacht, der unter Medizinern bereits auf großes Interesse stößt.
Quebec (Kanada). Der Glücksspielmarkt ist weltweit ein Milliardengeschäft. Laut Statistiken werden in Spielhallen, Spielautomaten und auf diversen Glücksspielseiten im Internet bzw. in Casino-Apps jedes Jahr 364 Milliarden Euro umgesetzt – 11,28 Milliarden Euro davon alleine in Deutschland. Aber auch wenn die meisten Menschen keine Probleme mit der Spielsucht haben und Slotmaschinen, Poker, Roulette und Co. lediglich als amüsanten Zeitvertreib ansehen, so werden immerhin 26,9 Prozent der Spielerinnen und Spieler in Online Spielhallen als problematisch angesehen. Obwohl deutschsprachige Online Spielhallen im Test wirklich gut abschneiden, schützt ein positives Fazit leider nicht automatisch auch vor Spielsucht.
Da Warnhinweise zur möglichen Spielsucht wenig abschreckende Wirkung haben, befassen sich immer mehr Forscher und Mediziner mit der Suche nach neuen Möglichkeiten, die Glücksspielsucht erfolgreich zu behandeln. Auf dem 87. Kongress der Association fransophone pour le savoir (kurz: Acfas) haben nun kanadische Forscher der Université du Québec en Outaouais einen interessanten Therapieansatz zur Behandlung von Glücksspielsucht mit Hilfe von VR-Brillen gemacht.
Obwohl die VR-Technologie noch relativ neu und ausbaufähig ist, so wird der neuen Technik bereits viel zugetraut. Zwar lassen sich langfristige Therapieerfolge noch schwer abschätzen, erste Versuche mit anderen psycho-sozialen Störungen und mit einer ersten Versuchsreihe mit spielsüchtigen Menschen sind aber sehr vielversprechend. Die Idee, Glücksspielsucht in einer virtuellen Umgebung zu behandeln, ist bereits 25 Jahre alt. Damals jedoch war die Technologie noch nicht so ausgereift, um eine real wirkende Umgebung zu schaffen, in der sich die Patienten ihrer Sucht unter ärztlicher Aufsicht stellen konnten.
Bei Arachnophobie, der Angst vor Spinnen, setzen bereits erste Therapeuten erfolgreich auf die VR-Technik. Auch andere Mediziner sehen die Technologie als Chance, über die bestehenden therapeutischen Ansätze hinauszukommen. Im Speziellen geht es hierbei vor allem um die expositionsbasierte Therapie, bei der sich die Patienten ihren Angstzuständen, Störungen und Süchten stellen sollen.
Stéphane Bouchard, Leiter des kanadischen VR-Projekts, beschreibt die Problematik bei den gängigen Therapien folgendermaßen: „Wenn wir die Therapie in unserer psychiatrischen Praxis durchführen, sind wir oft weit von der realen Versuchung entfernt. Was wir also in unserer Praxis tun, passt nicht ganz zu dem, was der Patient in seinem täglichen Leben erleben wird.“
Mit Hilfe der virtuellen Realität möchten die Forscher den Patienten bewusst in eine typische Suchtsituation bringen. Dies kann ein gewöhnlicher Spielautomat, Casino-Werbung auf dem Handy oder auch der bewusste Besuch einer Online Spielhalle sein. Der Therapeut kann dann ggf. in die Notsituation eingreifen oder aber auch die Bedingungen in der virtuellen Realität verändern.
Für den Spielsüchtigen soll die künstlich geschaffene Situation in der virtuellen Umgebung so natürlich und real wie möglich wirken. Durch die VR-Therapie soll der Patient erlernen, der Glückspielsucht und den klimpernden und leuchtenden Spielautomaten, den fallenden Würfeln, den Blackjack-Karten oder aber auch dem drehenden Rad und der darin hüpfenden Kugel am Roulette-Tisch zu widerstehen. Die Forscher erhoffen sich durch die neue Therapie den genauen Impuls zu erkennen, der das Suchtverhalten auslöst. Bouchard schwärmt von der VR-Technologie und beschreibt die therapeutischen Vorteile so: „Wenn die Patienten die virtuelle Realität nutzen, setzen sie auch eine 3D-Brille auf. Ich sehe, was mein Patient sieht, und es ermöglicht mir, die Situationen exakt nachzubilden, in denen der Patient in Versuchung gerät. Sobald er denkt und fühlt, als ob es wahr wäre, kann man in der Sicherheit meines Behandlungsraums die Therapie einstudieren, die man gerne machen würde.“
Die kontrollierte Konfrontation mit der Glücksspielsucht ist wichtig, da sich ein Spielsüchtiger im Alltag immer wieder mit seiner Sucht auseinandersetzen muss. Spielautomaten gibt es nicht nur in Casinos, in einigen beliebten Urlaubsländern stehen sie beispielsweise in Bars, Imbissen, Restaurants und sogar in Supermärkten und Tankstellen. Aber auch online lauern für Glücksspielsüchtige Gefahren: Viele harmlos scheinende Handyspiele setzen beim Spielprinzip auf den Glücksfaktor. Spielsüchtige könnten hier unbemerkt rückfällig werden. Die VR-Therapie soll während der Behandlung den Patienten mit genau solchen Situationen konfrontieren. Nur so kann der richtige Umgang mit solchen Situationen erlernt werden.
Aber auch wenn die VR-Therapie noch nicht ausgereift ist, so ist sich Bouchard sicher, bereits jetzt schon zwischen 40 und 60 Prozent der Patienten mit der technischen Unterstützung helfen zu können. Innerhalb eines ersten Testabschnitts hatten sich keine negativen Auswirkungen auf die Patienten gezeigt. Aus diesem Grund soll nun eine zweite Testphase beginnen.
In der ersten Testphase des neuen Therapieansatzes haben die Forscher die Patienten nach bestimmten Kriterien ausgesucht. In der zweiten Phase sollen die klinischen Tests mit einer größeren Gruppe von Probanden sowie mit Kontrollgruppen erfolgen.
Yasser Khazaal, Chefarzt der psychiatrischen Abteilung der Universitätsklinik Waadt in der Schweiz, findet den Ansatz Glücksspielsucht mit Virtual Reality-Brillen zu behandeln sehr interessant. Seiner Ansicht nach sollte jedoch nicht die VR-Technik im Vordergrund stehen, sondern vielmehr die Entwicklung von Handlungsmustern, die ein Patient instinktiv anwenden soll, wenn er in eine typische Suchtsituation kommt.
„Es ist nicht die virtuelle Realität, welche die Behandlung durchführt, sondern die Art und Weise, wie sie bei der Person angewendet wird. Es kann sehr nützlich sein, die Überzeugungen zu untersuchen, welche die Person während des Spielens hat. Dies ist ein Ansatz, der zu dem, was außerhalb der virtuellen Umgebung getan werden kann, komplementär sein kann“, erklärt Khazaal, der betont, dass die neue Therapiemöglichkeit nur ergänzend zur klassischen Suchttherapie eingesetzt werden sollte und für sich alleine, die herkömmliche Therapie nicht ersetzen kann.
Immer wieder probieren Forscher und Psychologen neue Wege aus, um vor der großen Gefahr der Spielsucht zu warnen. So hatte man kürzlich in Kanada versucht, durch ein neues Gewinnchance-Label auf Spielautomaten die Spieler zu beeinflussen. Wie Forscher des Gambling Research Lab der University of Waterloo berichten, hatte man gehofft, dass durch das Label weniger an den Spielautomaten gespielt werden würde. Doch das Gegenteil war der Fall: Stammspieler haben die eigentlich negative Bewertung des Labels positiv auf ihre Gewinnchance ausgelegt.
Ein weiteres Beispiel dafür, dass die Glücksspielsucht vermehrt in den Fokus der Wissenschaft rückt, kommt aus Finnland. Hier hatten Forscher Anfang des Jahres 2018 Probanden für ein Nasenspray gegen Spielsucht gesucht.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass das Problem der Glücksspielsucht weltweit ernster genommen wird und diverse Forscher sowie Mediziner aus der ganzen Welt vermehrt an der Entwicklung neuer und besserer Behandlungsmethoden arbeiten.