Robert Klatt
Der süße Geschmack von Haushaltszucker (Saccharose) beeinflusst unabhängig vom Kaloriengehalt das Sättigungsgefühl.
Wien (Österreich). In Deutschland und Österreich konsumieren Erwachsenen im Mittel mehr als 30 Kilogramm Zucker pro Jahr, obwohl bekannt ist, dass ein hoher Zuckerkonsum sich negativ auf die Gesundheit auswirken kann und einer der Auslöser von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes sowie Übergewicht ist und das Abnehmen erschwert. Ernährungswissenschaftler gehen davon aus, dass dieser hohe Konsum hauptsächlich darauf zurückgeht, dass zuckerhaltige Lebensmittel den Eindruck erwecken, einen Menschen zeitweise satter und glücklicher zu machen als Lebensmittel mit wenig Zucker.
Bislang hat die Wissenschaft aber noch nicht untersucht, ob die süße Geschmackswahrnehmung von Zucker tatsächlich das Sättigungsgefühl des Menschen beeinflusst.
Ein Team der Universität Wien um Kerstin Schweiger hat nun erstmals untersucht, ob der süße Geschmack des Zuckers unabhängig von dessen Energiegehalt das Sättigungsgefühl beeinflusst.
Veronika Somoza: „Wir sind der Frage nachgegangen, welche Rolle die Aktivierung des Süßgeschmacksrezeptors bei der Sättigungsregulation spielt.“
Laut der im Fachmagazin Nutrients publizierten Studie führten die Wissenschaftler dazu ein Experiment mit 27 männlichen Probanden zwischen 18 und 45 Jahren durch. Die Teilnehmer erhielten entweder zehnprozentige Zuckerlösung mit Glukose (Traubenzucker) oder Saccharose (Haushaltszucker) oder eine der beiden Zuckerlösungen mit zusätzlicher Lactisole. Dies ist eine Substanz, die die Süßgeschmackswahrnehmung verringert. Der Energiegehalt aller Testlösungen war nahezu identisch.
Innerhalb von zwei Stunden, nachdem Konsum der unterschiedlichen Zuckerlösungen entnahmen die Forscher den Probanden Blutproben und dokumentieren deren Körpertemperatur. Anschließend gab es ein Frühstück, bei dem gemessen wurde, wie viele Kalorien die Probanden aßen.
Es zeigte sich dabei, dass die Männer, die zuvor eine lactisolehaltige Lösung mit Haushaltszucker tranken, 100 Kalorien (13 %) mehr konsumieren als die Probanden, deren Süßgeschmackswahrnehmung nicht durch Lactisole beeinflusst wurde. Die Probanden der Lactisole-Testgruppe hatten außerdem eine geringere Körpertemperatur und eine um bis zu 20 Prozent schwächere Konzentration des appetithemmenden Hormons Serotonin.
Die Effekte des Zuckerkonsums fielen also bei den Probanden schwächer aus, die zwar dieselbe Menge Zucker konsumieren, diese aber kaum schmecken konnten. Bei der Versuchsgruppen, die eine lactisolehaltige Glukoselösung und eine pure Glukoselösung erhielten, konnten die Wissenschaftler diese Effekte hingegen nicht feststellen.
Barbara Lieder: „Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass Saccharose unabhängig von seinem Energiegehalt über den Süßgeschmacksrezeptor die Sättigungsregulation sowie die Energieaufnahme moduliert.“
Haushaltszucker (Saccharose) verursacht demnach ein Sättigungsgefühl, weil der Zucker die Süßgeschmacksrezeptoren aktiviert.
Kerstin Schweiger: „Warum wir den Lactisole-Effekt nicht bei Glukose beobachten konnten, wissen wir noch nicht genau. Wir vermuten jedoch, es liegt daran, dass Glukose und Saccharose den Süßrezeptor auf unterschiedliche Weise aktivieren. Zudem gehen wir davon aus, dass Süßrezeptor-unabhängige Mechanismen eine Rolle spielen.“
Veronika Somoza: „Es besteht also noch viel Forschungsbedarf, um die komplexen Zusammenhänge zwischen Zuckerkonsum, Geschmacksrezeptoren und Sättigungsregulation auf molekularer Ebene zu klären.“
Weitere Studien sollen unter anderem untersuchen, welche Funktion die im Verdauungstrakt liegenden Süßrezeptoren haben. Außerdem merken die Studienautoren an, dass die bisherigen Ergebnisse, die lediglich auf einer kleinen rein männlichen Probandengruppe basieren, noch durch umfangreiche Experiemente bestätigt werden müssen.
Nutrients, doi: 10.3390/nu12103133