Robert Klatt
In Deutschland sind barrierefreie Wohnungen für Senioren und Menschen mit Behinderung eine Seltenheit, obwohl Barrierefreiheit die Baukosten nur minimal erhöht.
Berlin (Deutschland). In Deutschland sind laut Daten der Studie „Wohnen in Deutschland - Zusatzprogramm des Mikrozensus 2018“ des Statistischen Bundesamt (Destatis) nur zwei Prozent aller Wohnungen und Einfamilienhäuser barrierefrei. Mängel zeigen sich häufig schon beim Eingang, der nur bei zehn Prozent aller Wohngebäude stufenlos ist. Auch bei Neubauten ist nur etwa ein Fünftel weitgehend frei von Barrieren.
Der große Mangel passender Wohnungen zeigt sich vor allen bei den befragten Senioren, von denen nur 15 Prozent in einer stufenlos erreichbarem Wohnung leben. Noch niedriger ist der Anteil vollständig barrierefreier Wohnungen mit nur drei Prozent. Insgesamt fehlen in Deutschland laut einer Studie des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB) etwa 1,6 Millionen barrierefreie Wohnungen, Tendenz steigend. Neben alten Menschen trifft dies besonders Rollstuhlfahrer, bei denen ein Mangel an 400.000 passenden Wohnungen besteht.
Gemeinsam mit dem Projektentwickler Terragon hat der DStGB deshalb untersucht, wie hoch die oft als Hindernis genannten Baukosten für barrierefreie Wohnungen wirklich sind. Als Modell der Studie dient ein Wohnungsneubauprojekt in Berlin mit 1.500 Quadratmetern Fläche und fünf Stockwerken anhand dessen 20 Wohnungen die Baukosten konventioneller Objekte und vollständig barrierefreier Wohnungen verglichen wurden. Dabei berücksichtigten die Autoren alle 140 in DIN 18040-2 definierten Kriterien.
Mehrkosten beim Neubau erzeugen davon nur zehn. 130 Kriterien sind hingegen kostenneutral, wenn sie bereits durch eine intelligente Planung berücksichtigt werden. Pro Quadratmeter steigt der Baupreis somit nur um 21,50 Euro beziehungsweise 1,26 Prozent. Die Mehrkosten bei einer 75 Quadratmeter Wohnung liegen also bei etwa 1.600 Euro.
Dr. Michael Held, Geschäftsführer von TERRAGON konstatiert, dass „die Mehrkosten von rund einem Prozent in Beziehung zum Anstieg der Grundstückskosten, Kaufpreise oder auch der Grunderwerbsteuer in den vergangenen Jahren gesetzt werden, so erscheinen sie vernachlässigbar gering.“
Die Studie zeigt überdies, dass es wirtschaftlich sinnvoll ist, Barrierefreiheit bereits beim Neubau zu berücksichtigen. Im Rahmen des KfW-Programms „Altersgerechter Umbau“ nachträglich veränderte Wohnungen erzeugen im Mittel kosten von 19.100 Euro und sind somit deutlich teurer. Häufig wird dabei außerdem keine vollständige Barrierefreiheit erreicht, sondern die vorhandenen Barrieren werden lediglich verringert.
Held erklärt dazu, dass „diese geringen Mehrkosten zudem vor dem Hintergrund der erheblichen Vorteile der Barrierefreiheit gesehen werden müssen. Selbstnutzende Eigentümer profitieren vom Komfort bis ins hohe Alter, Vermieter von der besseren und längeren Vermietbarkeit. Zudem wird ein generell höherer Immobilienwert gegenüber nicht barrierefreien Wohnungen erzielt.“
Laut Prof. Dipl. Ing. Lothar Marx, Honorarprofessor „wird Barrierefreiheit leider bisher noch in vielen Fällen ausschließlich mit den Zielgruppen Senioren und Menschen mit Handicaps in Verbindung gebracht. Dabei bedeutet ein durchdachtes Konzept für Barrierefreiheit nichts anderes als Komfort, von dem Nutzer aller Altersklassen und in allen Lebenslagen profitieren können – ein nachhaltiges Investment, für das sowohl wirtschaftlich als auch gesamtgesellschaftlich gesehen viele gute Argumente sprechen.“
Die Studienautoren empfehlen deshalb auch jungen Bauherren bei der Planung neuer Wohnungen einen hohen Wert auf die Barrierefreiheit zu legen. Entscheidende Faktoren wie breite Türen, barrierefreie Bäder und Aufzüge und genügend Bewegungsfreiheit für einen Rollstuhl oder Rollator können sonst nur schwer nachträglich realisiert werden.
Marx erklärt, dass „in Deutschland jetzt der Zeitpunkt für ein Umdenken gekommen ist. Denn wir stehen am Anfang einer Phase des vermehrten Neubaus. Jeder Neubau ist eine Chance, zeitgemäßen Wohnraum zu schaffen – Wohnraum, der für Jahrzehnte als Zuhause dienen soll. Aktuell werden jährlich circa 100.000 Wohnungen im Geschosswohnungsbau errichtet. Diese Chance müssen wir mit Blick auf den demografischen Wandel dringend nutzen.“