Robert Klatt
In den OECD-Ländern werden Frauen zwar älter als Männer, haben im Mittel aber als Senioren eine geringere Lebensqualität. Am deutlichsten wird dies bei der sozialen Integration.
Singapur (Singapur). Mehr als 700 Millionen Menschen, also fast zehn Prozent der Weltbevölkerung, sind schon heute älter als 65 Jahre. Auf Basis einer Extrapolation der aktuellen Bevölkerungsentwicklung wird deutlich, dass sich der Anteil der Senioren bis 2050 mehr als verdoppeln wird. Im globalen Durchschnitt werden Frauen noch immer vier bis fünf Jahre älter als Männer. In den Mitgliedsstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sind es immerhin drei Jahre.
Ein Team der Universität Singapur um Cynthia Chen hat nun ermittelt, dass das längere Leben nicht unbedingt ein Vorteil für Frauen sein muss. Laut ihrer im Fachmagazin The Lancet Healthy Longevity publizierten Studie liegt dies daran, dass Frauen ihre zusätzlichen Lebensjahre häufig bei schlechter Gesundheit und in Armut verbringen. Als Basis der Studie dienten Daten der 18 OECD-Länder, darunter Deutschland, weitere Mitglieder der Europäischen Union (EU), Japan und die U.S.A.
Die Wissenschaftler erstellen auf Basis der Daten der OECD und der Weltbank einen Index, der die Situation von Menschen im hohen Alter abbilden soll. Dieser umfasst die fünf zentrale Lebensaspekte:
Am besten schnitten dabei für beide Geschlechter die Niederlande, Japan und die skandinavischen Länder ab. Deutschland und die U.S.A. liegen im Mittelfeld. Auf den hinteren Plätzen liegen viele Länder in Süd- und Osteuropa, darunter Ungarn oder Slowenien.
Besonders große Unterschiede bei der Lebensqualität im Alter zwischen den Geschlechtern gibt es in den Niederlanden, Österreich, Italien und Dänemark. Am kleinsten sind die Unterschiede in Finnland, Irland, Polen und Spanien
Am stärksten sind die Unterschiede zwischen den Geschlechtern bei der sozialen Integration. Die Wissenschaftler sehen als Grund darin das oft höhere Alter der Frauen. Diese leben nachdem Tod ihres Partners häufig also noch einige Jahre allein. Groß sind die Unterschiede überdies bei den Faktoren Produktivität und Engagement sowie Verteilung von Ressourcen, bei denen Männer in allen untersuchten Ländern vor den Frauen lagen.
Die Forscher konstatieren, dass Unterschiede zwischen den Geschlechterrollen das Alter zentral prägen. Frauen werden zwar älter, haben aber weniger Geld zur Verfügung, sind häufiger im Alter allein und leben länger bei schlechter Gesundheit. Sie fordern deshalb Maßnahmen, die dafür sorgen, dass die durch die Geschlechterrollen ausgelöste lebenslange Ungleichheit sich nicht im Alter fortsetzt oder dort sogar noch verstärkt. Neben einer besseren finanziellen Absicherung wären laut den Autoren auch Programme sinnvoll, die eine sozialen Isolation der älteren Frauen verhindern.
The Lancet Healthy Longevity, doi: 10.1016/S2666-7568(21)00121-5