Robert Klatt
Viele Menschen sind der Ansicht, dass finanzielle Unterschiede auf falsche Entscheidung zurückgehen. Eine Studie hat nun untersucht, ob bei Menschen mit geringen Einkommen wirklich die individuelle Entscheidungsfindung dafür verantwortlich ist.
New York City (U.S.A.). In vielen Ländern hat die wirtschaftliche Ungleichheit in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen. Lösungsansätze zur Bekämpfung dieses Problems haben bislang aber nicht die erhofften Lösungen erbracht. Als besonders ineffektiv haben sich verhaltenswissenschaftliche Methoden erwiesen. In der Wissenschaft ging man deshalb davon aus, dass vor allem die Entscheidungen von Menschen mit geringen Einkommen dafür verantwortlich sind, dass die Maßnahmen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Aufstiegschancen kaum funktionieren.
Forscher der Columbia University um Kai Ruggeri haben nun im Fachmagazin Scientific Reports eine Studie publiziert, laut der gesellschaftliche wirtschaftliche Unterschiede nicht einfach auf schlechte Entscheidungen der Armen oder gute Entscheidungen der Reichen zurückzuführen sind. Die Qualität der getroffenen Entscheidungen war in allen Einkommensschichten gleich, auch bei Menschen, die aus der Armut herausgekommen sind.
Um die Entscheidungsfähigkeit zu untersuchen, führten die Forscher eine Onlineumfrage mit knapp 5.000 Teilnehmern aus 27 Ländern in Asien, Europa, Nordamerika und Südamerika durch. Die Qualität der Entscheidungsfähigkeit wurde mithilfe von zehn individuellen Verzerrungen gemessen, darunter die Präferenz für sofortige finanzielle Vorteile (zeitliche Diskontierung) gegenüber zukünftigen größeren Gewinnen und die Überschätzung der eigenen Fähigkeiten.
Die Umfrage zeigt, zeitliche Diskontierung mehr mit der allgemeinen wirtschaftlichen Lage einer Gesellschaft zu tun hat als mit den finanziellen Umständen eines Einzelnen. Es wird somit deutlich, dass Menschen nicht arm sind, weil sie besonders anfällig für kognitive Verzerrungen sind.
„Unsere Forschung weist die Idee nicht zurück, dass individuelles Verhalten und Entscheidungsfindung direkt mit der wirtschaftlichen Aufwärtsmobilität zusammenhängen könnten. Stattdessen kommen wir zu dem eng gefassten Schluss, dass verzerrte Entscheidungsfindung allein keinen signifikanten Anteil der wirtschaftlichen Ungleichheit auf Bevölkerungsebene erklärt. Personen mit niedrigem Einkommen sind nicht einzigartig anfällig für kognitive Verzerrungen, die zu schlechten finanziellen Entscheidungen führen. Vielmehr ist Knappheit wahrscheinlich ein größerer Treiber dieser Entscheidungen.“
Scientific Reports, doi: 10.1038/s41598-023-36339-2