Steigende Sorgen

Mehr Glücksspiel durch hohe Inflation

Dennis L.

Mega Gewinne locken in finanziell schwierigen Zeiten zunehmend mehr Spieler an. )kcotS ebodAMWN(Foto: © 
Auf den Punkt gebracht
  • Studien legen nahe, dass bei hoher Inflation mehr Menschen Glücksspiele spielen
  • Selbst ehemalige Spielsüchtige warnen vor dieser unterschätzen Gefahr

Die Verheißung rascher finanzieller Gewinne durch Glücksspiele, wie sie die Werbung oft propagiert, steht nicht selten in starkem Kontrast zur Realität. Besonders in Zeiten hoher Inflation, wo Geld bei vielen Menschen knapp ist, steigt die Anzahl der Spieler Registrierungen in Online-Casinos.

München (Deutschland). In Zeiten, in denen die Inflation steigt und die Energiekosten explodieren, verfügen die Deutschen zunehmend über weniger finanzielle Mittel. Währenddessen generiert die Glücksspielbranche beachtliche Profite. Es stellt sich die Frage, ob Menschen in solchen Krisenzeiten höhere Wettbeträge riskieren, um ihren inflationsbedingten Verlusten entgegenzuwirken. Folgen sie dabei dem Grundsatz "Das Geld muss ja irgendwie reinkommen"? Beratungsstellen für Suchtkranke betrachten diese Preissteigerungen bereits als potenzielle Gefahrenquelle für Menschen mit Glücksspielproblemen, ein mögliches Einfallstor in eine Spirale, die in vollständige finanzielle Verarmung münden könnte. Wissenschaftliche Institutionen und staatliche Suchtberatungsstellen scheinen jedoch mit dieser Situation überfordert zu sein.

Als Antwort auf eine Anfrage von IPPEN.MEDIA äußerte der Bundesverband Selbsthilfe Glücksspielsucht eindeutige Bedenken. Sie erklärten, dass die zunehmende Besorgnis vieler Menschen, aufgrund rapide steigender Energie- und Lebensmittelkosten ihren Lebensunterhalt nicht mehr bewältigen zu können, eine erhebliche Risikofaktor darstellt. In finanziell prekären Zeiten sind Spieler stets auf der Jagd nach dem erhofften großen Jackpot, der alle monetären Belastungen wie von Zauberhand beseitigen würde.

Selbst ehemals Spielsüchtige warnen vor der Gefahr

Diese Situation könnte auch Menschen, die bislang wenig oder gar nicht in Sportwetten, Casinos, Online-Glücksspiel oder Lotterien involviert waren, zum Einstieg in Glücksspiele verführen. Laut dem Verein, in dem auch ehemals spielsüchtige Personen ehrenamtlich tätig sind, ist die Inflation für Menschen, die bereits eine Anfälligkeit für Sucht aufweisen oder bereits süchtig sind, doppelt gefährlich. Dennoch ist es wichtig zu betonen, dass das Verhalten jedes Spielers einzigartig ist.

Besonders die aggressive Werbung im Internet vermittelt vielen Menschen ein falsches Bild von den Gewinnwahrscheinlichkeiten. Besondere Boni, wie ein Casino 20 Euro Bonus ohne Einzahlung oder diverse Freispiele locken in finanziell unsicheren Zeiten zunehmend Menschen an, ihr Glück nicht doch einmal zu versuchen.

Es scheint, als würden sich viele regelmäßige Spieler trotz steigender Lebenshaltungskosten nicht unbedingt in ihrem Spielverhalten anpassen. "Zunehmende Sorgen, vor allem im finanziellen Bereich, haben uns alle während unserer 'aktiven' Spielzeit nicht davon abgehalten, weiter zu spielen", erklärt Timo Nobis, stellvertretender Vorsitzender des Vereins. "Es spielte keine Rolle, ob die Inflation zu dieser Zeit gerade niedrig war oder wie jetzt rasant anstieg.“

Laut Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sind aktuell etwa 430.000 Menschen in Deutschland von problematischem Glücksspiel oder Spielsucht betroffen. Auffällig ist häufig ein pathologisches Spielverhalten, welches durch exzessives Glücksspiel gekennzeichnet ist. Die Landesstelle Glücksspielsucht in Bayern definiert zwei Hauptmerkmale dieses Verhaltens:

  1. Kontrollverlust: Das Beenden oder Unterbrechen des Spiels ist nicht mehr durch bloße Willenskraft möglich.
  2. Chasing-Verhalten: Der Betroffene versucht, Verluste durch erneutes Spiel, häufig mit höheren Einsätzen, auszugleichen.
  3. Präokkupation: Die betroffene Person ist gedanklich ständig mit dem Glücksspiel beschäftigt, sowohl in Bezug auf vergangene Glücksspielerfahrungen als auch auf zukünftige Unternehmungen und Strategien zur Finanzierung des Glücksspiels.

Ein Sprecher des Ministeriums erläutert, dass sich Spieler oft Geld leihen, wenn sie nicht mehr genug für das Glücksspiel zur Verfügung haben. "Dabei wird häufig die Wahrheit verdreht, um das wahre Ausmaß der Spielsucht zu verbergen. In extremen Fällen kann es sogar zu kriminellen Handlungen kommen, um das benötigte Geld für das Glücksspiel zu beschaffen." Ob diese Risiken jedoch in Zeiten hoher Inflation verstärkt auftreten, kann der Freistaat aufgrund mangelnder Daten nicht bestätigen.

Auch die Landessuchtstelle Mecklenburg-Vorpommern verfügt über keine konkreten Zahlen, jedoch wird im nördlichen Teil Deutschlands ein Anstieg von Glücksspielen und Sportwetten im Online-Segment vermutet. Dieser Trend sei bereits jetzt erkennbar, wie eine Sprecherin auf Anfrage bekannt gibt. "Leider sind es gerade die Menschen mit geringem Einkommen, die sich erhoffen, durch einen Gewinn einen großen Geldbetrag zu erzielen.“

Studien aus Island bestätigen infaltionsbedingten Spieltrend

Es existieren nur wenige wissenschaftliche Untersuchungen zu diesem Thema. Eine Studie aus Großbritannien, die im September veröffentlicht wurde, deutet darauf hin, dass steigende Lebenshaltungskosten insbesondere Frauen dazu bewegen könnten, sich dem Glücksspiel zuzuwenden. Tobias Hayer, ein Glücksspielforscher an der Universität Bremen, weist in einer Anfrage von IPPEN.MEDIA auf Studien aus Island hin. Dort sei es während der Rezession 2008 zu Verschiebungen im Glücksspielverhalten auf Bevölkerungsebene gekommen, so der Diplom-Psychologe.

In der Studie, an der die Universität Bremen beteiligt war, wird festgestellt: "Diejenigen, die über finanzielle Schwierigkeiten infolge der Rezession berichteten, neigten eher dazu, Lotto- oder Rubbellose zu kaufen oder sich auf Sportwetten oder Online-Casinos zu fokussieren, im Vergleich zu denen, die nicht von der Krise betroffen waren." Hayers Schlussfolgerung lautet: "Es scheint, als seien die in Aussicht gestellten Millionengewinne bei der Lotterie in Krisenzeiten noch anziehender als normalerweise.“

Ist ein solcher Glücksspieltrend auch in Deutschland denkbar?

Ein ähnlicher Trend könnte auch in Deutschland beobachtet werden. Allerdings haben offizielle Stellen der Bundesländer bisher noch keine merklichen Auswirkungen der Inflation auf das Glücksspielverhalten festgestellt. Bei Anfragen von IPPEN.MEDIA an alle staatlichen Suchtberatungsstellen konnten keine konkreten Zahlen genannt werden.

Hayer meint: „Zumindest ist einer ähnlicher Trend bei den Lotterien nicht auszuschließen. Hierzulande erzielte der Deutsche Lotto- und Totoblock mit seinen Angeboten während der Pandemie bereits ein leichtes Umsatzplus.“ Die Sportwettenbranche feierte derweil einen Rekordgewinn - ebenso wie Online-Casinos. Auch mit Blick auf die im November startende Fußball-Weltmeisterschaft könnte es daher auch in diesem Bereich zu Mehreinnahmen kommen - trotz Inflation.

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