Robert Klatt
Die „Willkommenskultur“ der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) war laut einer Studie nicht verantwortlich für die hohe Anzahl an Flüchtlingen, die in Deutschland 2015 Schutz gesucht haben.
Potsdam (Deutschland). Im Jahr 2015 suchten mehr als eine Million Flüchtlinge in Deutschland Schutz. Als hauptverantwortlich für die starke Zuwanderung sahen Gegner der Migration die Flüchtlingspolitik der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die im September 2015 die historische Entscheidung traf, die Grenzen der Bundesrepublik zunächst offenzuhalten.
Eine Studie der Universität Potsdam und des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW Kiel) kam nun zu dem Ergebnis, dass die sogenannte „Willkommenskultur“ nicht die Ursache für den deutlichen Aufwärtstrend bei der Zuwanderung war. Laut der Datenanalyse war die große Anzahl an Flüchtlingen im Jahr 2015 stattdessen das Ergebnis eines Aufwärtstrends, der bereits in den Jahren davor begonnen hatte.
„Eine offene Migrationspolitik für Menschen in Not führt nicht zwangsläufig zu einer langfristig anhaltenden Zuwanderung. Zwar verbreitete sich die Nachricht von Angela Merkels Entscheidung rasant über Medien und soziale Netzwerke, doch der von Kritikern befürchtete Pull-Effekt, dass sich erst deswegen viel mehr Asylsuchende auf den Weg nach Deutschland machen würden, trat nicht ein“, erklärt Studienautor Tobias Heidland.
Auch die Auswanderungsabsichten potenzieller Migranten in Erstasylländern wie der Türkei stieg laut der Studie durch die Flüchtlingspolitik nur kurzfristig an. Der sogenannte „Merkel-Effekt“ existierte demnach nicht.
Verantwortlich für die hohe Anzahl an Flüchtlingen im Jahr 2015 war hingegen ein Aufwärtstrend, der bereits fünf Jahre zuvor begonnen hatte. Dieser wurde 2014 und 2015 durch große Finanzierungslücken in den Erstaufnahmeländern im Nahen Osten verstärkt. Die mangelnden finanziellen Mittel sorgten laut der Studie dafür, dass die dortigen Lebensbedingungen sich deutlich verschlechterten und dass viele Flüchtlinge ihren Weg nach Mitteleuropa und insbesondere nach Deutschland antraten.
„Wir beobachten einen massiven Anstieg der Zahl der Einwanderer und Asylsuchenden bis 2015, der sich 2010 und 2011 - dem Jahr, in dem der syrische Bürgerkrieg begann – beschleunigte“, konstatieren die Autoren.
Nach 2015 sanken die Migrationszahlen in Deutschland stark. Sie gingen sogar schneller zurück als in anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) wie Frankreich, Italien oder Spanien. Dies bestätigten auch historische Daten der Suchmaschine Google.
„Bei der Zahl der Personen, die auf der Online-Suchmaschine Google im Rahmen von Visa und Einwanderung nach Deutschland gesucht haben, beobachten wir nach einem nahezu linearen Aufwärtstrend zwischen 2006 und 2013, nach 2015 einen rückläufigen Trend“, erklären die Wissenschaftler.
Als Grund für den deutlichen Rückgang nennen die Autoren die zunehmend restriktive Migrationspolitik in Deutschland. Außerdem haben das EU-Türkei-Abkommen und die Schließung der Balkanroute sowie die Beschränkung des Familiennachzugs die Anzahl der Flüchtlinge deutlich reduziert.