Robert Klatt
Deutschland entgehen durch Schwarzarbeit, Betrug und andere Arten der Steuerhinterziehung etwa 125 Milliarden Euro jährlich.
London (England). Laut einer Studie der University of London im Auftrag der sozialdemokratischen S&D-Fraktion im Parlament der Europäischen Union (EU) entgehen dem deutschen Fiskus jährlich 125 Milliarden Euro durch Schwarzarbeit, Betrug und andere Arten der Steuerhinterziehung. Die Bundesrepublik liegt damit innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten auf dem zweiten Platz, hinter Italien (190 Milliarden Euro) und vor Frankreich (117 Milliarden Euro). Der Gesamtschaden in der EU liegt bei 825 Milliarden Euro. Dies entspricht rund 1.650 Euro pro EU-Bürger.
Wie RA Christian Bonorden, LL.M., Anwalt für Wirtschaftsstrafrecht, erklärt, liegt die geschätzte Summe der entgangenen Steuereinnahmen in Deutschland somit bei etwa einem Drittel des gesamten Bundeshaushaltes und übertrifft die Steuereinnahmen aller Gemeinden, obwohl bei Steuerhinterziehung strenge Strafen verhängt werden können. Die Art und die Höhe der Strafe hängt vom jeweils individuellen Fall und kann neben Geldstrafen und Freiheitsstrafen auch weitere Maßnahmen, wie die Einziehung der hinterzogenen Beträge, umfassen.
Laut Bonorden können die hohen Strafen durch eine Selbstanzeige, ein rechtliches Instrument, das dem Täter die Möglichkeit eröffnet, durch eigeninitiatives Offenlegen bisher verschwiegener Einkünfte oder Vermögenswerte zu melden, vermieden werden. Sie ist eine in § 371 der Abgabenordnung geregelte Maßnahme, die es ermöglicht, die strafrechtlichen Konsequenzen einer Steuerhinterziehung zu vermeiden, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt werden.
Voraussetzung für die Wirksamkeit der Selbstanzeige ist, dass sie vollständig und rechtzeitig erfolgt. Das bedeutet, der Steuerpflichtige muss sämtliche bisher unversteuerten Einkünfte und Vermögenswerte umfassend offenlegen und die daraus resultierenden Steuerbeträge nachzahlen. Nur wenn die Anzeige erfolgt, bevor die Steuerbehörden die Tat entdeckt haben oder ein entsprechendes Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, kann der Steuerpflichtige von der Strafbefreiung profitieren. Eine weitere Bedingung ist, dass die Steuerhinterziehung nicht in besonders schweren Fällen vorliegt, etwa wenn besonders hohe Beträge hinterzogen wurden oder die Tat über einen längeren Zeitraum hinweg begangen wurde.
Die Selbstanzeige bietet somit eine letzte Möglichkeit, um sich vor den strafrechtlichen Konsequenzen einer Steuerhinterziehung zu schützen. Durch das Offenlegen der hinterzogenen Steuern und die Nachzahlung der geschuldeten Beträge kann nicht nur eine strafrechtliche Verurteilung vermieden werden, sondern auch ein erheblich milderer Umgang mit dem Verstoß gegen das Steuerrecht erreicht werden. Diese Option ist daher besonders relevant für Steuerpflichtige, die sich ihrer Fehltritte bewusst geworden sind und die Konsequenzen minimieren möchten.
Die Studie der University of London zeigt zudem, dass die Steuerhinterziehung in der EU seit der letzten Untersuchung um 12 bis 16 Prozent gesunken ist. Laut dem Ökonomen und Steuerexperten Richard Murphy liegt dies unter anderem an veränderten politischen Klima.
„Vor zehn Jahren hat noch niemand über das Thema gesprochen. Heute ist es ein fester Bestandteil der politischen Debatte.“
S&D-Fraktionschef Udo Bullmann fordert trotz der positiven Entwicklung ein härteres Vorgehen und neue Maßnahmen gegen Steuerhinterziehung. Seine Fraktion hat einen Fünfpunkteplan entwickelt. Dieser sieht zunächst die Einführung einer verpflichtenden Mindeststeuer auf Unternehmensgewinne vor, die einen effektiven Steuersatz von 18 Prozent gewährleistet. Damit soll verhindert werden, dass Unternehmen ihre Steuerlast durch aggressive Steuerplanung minimieren.
Zudem sollen alle EU-Länder verpflichtet werden, offizielle Schätzungen zum Ausmaß der Steuerhinterziehung und den Kosten steuerlicher Anreize vorzulegen, um Transparenz zu schaffen und gezielte Maßnahmen zu ermöglichen. Auch die europaweite Abschaffung fragwürdiger Steuerregelungen, die es multinationalen Konzernen erleichtern, ihre Steuerpflichten zu umgehen, ist Teil des Plans, um einheitliche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen.
Ein weiterer zentraler Punkt ist die Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips bei steuerpolitischen Entscheidungen auf EU-Ebene, um notwendige Reformen trotz Widerständen einzelner Mitgliedstaaten durchsetzen zu können. Schließlich wird vorgeschlagen, die schwarze Liste der EU für Steueroasen zu erweitern, um alle globalen Steueroasen, einschließlich solcher innerhalb der EU, zu erfassen. Dies soll verhindern, dass Mitgliedstaaten, die Steuervermeidung fördern, ungestraft bleiben und das Vertrauen in das europäische Steuersystem untergraben.
„Wir müssen endlich dafür sorgen, dass alle ihren gerechten Beitrag zum Allgemeinwohl leisten. Wenn die Rentnerin mit der kleinen Rente eine höhere Rente hätte, wäre es völlig normal, dass sie jemanden vernünftig bezahlt, damit er seinerseits eine ordentliche Rente aufbauen und seine Kinder ernähren kann. Wir wollen eine Wirtschaft, in der sowohl die Verbraucher als auch die Produzenten gut gestellt sind.“
Eine ähnliche Ansicht vertritt auch Murphy, laut dem die Steuerhinterziehung allen ehrlichen Steuerzahlern schadet.
„Natürlich können Steuerhinterzieher ihre Leistungen billiger anbieten. Aber damit untergraben sie die ehrlichen Steuerzahler.“