Robert Klatt
51 Prozent des deutschen Mittelstands bietet eine betriebliche Altersversorgung. In den meisten Unternehmen ist die Finanzierung der Pensionsrückstellungen aber zu gering, um die Pensionsverpflichtungen auch wirklich decken zu können.
Bielefeld (Deutschland). Die Altersversorgung in Deutschland setzt sich aus drei Säulen zusammen. Neben den öffentlich-rechtlichen Pflichtsystemen (Gesetzliche Rentenversicherung, Beamtenversorgung, Alterssicherung der Landwirt & berufsständige Versorgung), die die Regelsicherungsfunktion übernimmt, existieren noch die Ergänzungsfunktionen der privaten Vorsorge (Basisrentenverträge, private Rentenversicherungen und Riesterverträge) sowie die betriebliche Altersversorgung.
Pensionsverpflichtungen der betrieblichen Altersversorgung sind oft sogenannte Direktzusagen. Die Verpflichtung zur Zahlung liegt damit unmittelbar beim Unternehmen und ist nicht an andere Stellen wie eine Lebensversicherung, einen Pensionsfonds oder eine Pensionskasse ausgelagert. Unternehmen bilden deshalb eine Pensionsrückstellung, die die Erfüllung von Ansprüchen ehemaliger Arbeitnehmer sicherstellen soll.
Eine Studie der Fachhochschule des Mittelstands (FHM), die gemeinsam mit der Commerzbank erstellt wurde, hat nun aufgedeckt, dass viele Unternehmen des deutschen Mittelstands die Höhe ihrer Pensionsverpflichtungen unterschätzen. Studienleiter Professor Volker Wittberg kommentiert dieses Verhalten als „besorgniserregend“.
Von den befragten Unternehmen gaben 51 Prozent an eine betriebliche Altersversorgung anzubieten, also Pensionsverpflichtungen gegenüber ihren Arbeitnehmern zu haben. Diese werden durch Pensionsrückstellungen aber von fast keinem Unternehmen in voller Höhe gedeckt. 35 Prozent der Unternehmen erreichen einen Deckungsgrad von mehr als 75 Prozent, 29 Prozent der Unternehmen von zumindest 50 Prozent und 36 Prozent der Unternehmen haben so geringe Rücklagen, dass die Pensionsverpflichtungen zum Studienzeitpunkt zu weniger als 50 Prozent gedeckt sind.
Im Hinblick auf die hohen Finanzierungslücken bei den Pensionsrückstellungen richtet sich Wittberg an die Unternehmen: „Wichtig ist hier die Augen vor der Realität nicht zu verschließen und nach Lösungen zu suchen, um die Deckungslücke zu schließen. Hier kann nur an die unternehmerische Verantwortung appelliert werden.“ Wie die Studiendaten zeigen, ist mit einer baldigen Schließung der Lücke aufgrund unzureichender finanzieller Mittel oder fehlender Handlungsbereitschaft des Managements allerdings nicht zu rechnen.
In den kommenden Jahren ist außerdem damit zu rechnen, dass die Deckungslücke bei vielen Mittelständlern weiter zunimmt, weil in der Handelsbilanz der Abzinsungssatz über den zehnjährigen Durchschnittszinssatz berechnet wird. Die lange andauernde Niedrigzinsphase sorgt somit dafür, dass er weiter sinken wird.
Zumindest das zunehmende Interesse am Pensionsmanagement zeigt jedoch, dass sich ein Teil der Unternehmen ihres Problems bewusst ist und aktiv nach Lösungsmöglichkeiten sucht. Während 2017 bei der Wahl von Geldanlagen deren Eignung für Pensionsrückstellungen nur mit einem Faktor 4,07 (1 = sehr wichtig bis 6 = unwichtig) berücksichtigt wurde, achten inzwischen wie der Faktor von 2,53 belegt, deutlich mehr Unternehmen darauf. Dies bestätigt auch die Commerzbank, die als Hauptgründe dafür den sinkenden Diskontsatz nach HGB, die Unsicherheit über die zukünftige Inflation und die höhere Lebenserwartung sieht.
Konkret können es sich in Zukunft laut den Umfragedaten 30 Prozent der Mittelständler vorstellen wertpapierbasierte Anlagen über das Internet zu kaufen. Zum Studienzeitpunkt haben diese Anlageoption nur acht Prozent der Unternehmen genutzt. Termingelder und Sichteinlagen bleiben für den Mittelstand aber auch weiterhin die bevorzugten Anlageformen.
Gernot Kleckner, Leiter Corporate Sales Firmenkunden der Commerzbank erklärt, dass „von dem sichtbaren Nachholbedarf beim An- und Verkauf von Wertpapieren Banken profitieren können, die ihre Digitalisierung konsequent vorantreiben und ihren Kunden früher positive Erfahrungen im E-Commerce von Anlageprodukten bieten können.“
Die Studienergebnisse zeigen außerdem, dass sich die Beratungsbedürfnisse des Mittelstands in Anlagefragen aus Sicht der Unternehmensentscheider stark gewandelt hat. Lediglich ein Drittel der befragten Manager gab an, bei der Anlageauswahl und -entscheidung sowie der Geschäftsabwicklung Hilfe durch einen Finanzberater zu benötigen. Innovative Kommunikationsformen werden hingegen häufiger nachgefragt.
Immerhin neun Prozent der Entscheider nutzen bereits eine Videoberatung ihrer Bank, 63 Prozent können sich eine Nutzung zumindest vorstellen. Auch der Kontakt per Chat wird bereits von zehn Prozent der Befragten genutzt, wobei insgesamt 53 Prozent immerhin offen für eine Nutzung sind. Kleckner erklärt, dass „Mittelständler sich täglich mit der Digitalisierung auseinandersetzen müssen, insofern ist es nicht verwunderlich, dass diese sich auch in der Beratung durchsetzt.“
Eine weitere Studie, bei der sich Analysten von KPMG mit den Auswirkungen von Covid-19 auf die Pensionsverpflichtungen beschäftigt haben, kam zu dem Schluss, dass die Folgen derzeit noch nicht abschätzbar sind. Grundsätzlich sorgt Covid-19 zwar auch in Deutschland für mehr Sterbefälle, die Pensionsverpflichtungen werden aber weiterhin anhand alter Sterbetafeln berechnet. Ob hier eine Anpassung nötig ist, wird sich laut den Experten erst dann zeigen, wenn bekannt ist, ob eine zweite Welle auftritt, die erneut einen Shutdown nötig macht.
Wie auch Wittberg empfiehlt KPMG ebenfalls eine Untersuchung der Risikotragfähigkeit der bAV, wenn diese schon länger nicht mehr untersucht wurde. Besonders in diesem Bereich herrscht laut den Ergebnissen der Studie der FHM großer Nachholbedarf, weil unabhängig von Covid-19 bereits die Niedrigzinsphase bei etwa zwei Drittel der Mittelständler eine Überprüfung eigentlich nötig gemacht hatte.