Strafrecht

Wo sprechen Richter in Deutschland die härtesten Urteile?

 Robert Klatt

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In Deutschland gibt es rund 800 Amts- und Landgerichte, deren Entscheidungen in Strafsachen sich deutlich voneinander unterscheiden. Doch wo urteilen Richter am strengsten?

Freiburg im Breisgau (Deutschland). In Deutschland haben Staatsanwaltschaften laut dem Statistischen Bundesamt (Destatis) im Jahr 2023 5.503.000 Ermittlungsverfahren in Strafsachen erledigt. Ein Großteil der Verfahren wurde eingestellt (60 %) und auf andere Arten erledigt (24 %), etwa durch die Abgabe als Ordnungswidrigkeit an die zuständige Verwaltungsbehörde. Lediglich bei einem kleinen Teil der Ermittlungsverfahren hat die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Erlass eines Strafbefehls gestellt (10 %) oder eine Anklageerhebung eingeleitet (6 %). Informationen zu den einzelnen Straftaten und den Urteilen enthält die Staatsanwaltschaftsstatistik nicht.

Eine Studie des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht (MPI-CSL), die im Berliner Anwaltsblatt publiziert wurde, zeigt jedoch, dass die Urteile maßgeblich vom jeweiligen Gericht abhängen. Als Beispiel nennt der Wissenschaftler Volker Grundies einen Raub, der in Nürnberg deutlich öfter in einer Haftstrafe ohne Bewährung endet (60 %) als in Bremen (40 %). Wie Grundies erklärt, wurden dabei bereits die Schwere des Delikts und eventuelle Vorstrafen berücksichtigt.

In der Praxis ist für Strafverteidiger schon lange ein sogenanntes Nord-Süd-Gefälle zu beobachten. Je weiter südlich man in der Bundesrepublik kommt, umso höher fallen die Strafen aus, vor allem in Bayern. Insbesondere Betäubungsmittelkriminalität wird dort gefühlt doppelt so hart bestraft wie etwa in Hamburg oder Bremen, erklärt Markus Sittig, Strafverteidiger aus Hamburg.

1,5 Millionen Entscheidungen von 800 Amts- und Landgerichten

Um zu untersuchen, wo Richter in Deutschland in Strafsachen durchschnittlich die strengsten Urteile fällen, haben die Forscher des MPI-CSL 1,5 Millionen Entscheidungen aus allen deutschen Amts- und Landgerichten analysiert. Die Studie hat lediglich Verstöße Erwachsener gegen das Strafgesetzbuch berücksichtigt, also etwa Raub, Körperverletzung oder Betrug. Urteile zum Ausländer- und Asylrecht wurden hingegen nicht miteinbezogen, weil diese lediglich eine Untergruppe der Bevölkerung betreffen können.

Grundies erklärt außerdem, dass er mehrere Faktoren, die die Härte eines Urteiles beeinflussen, in seine Analyse miteinbezogen hat. Dazu gehören unter anderem die mildernde Umstände, Vorstrafen und die Schwere der Tat. Zudem hat der promovierte Physiker, der am MPI-CSL als Experte für Statistik tätig ist, das Geschlecht, das Alter und die Nationalität der Verurteilten berücksichtigt.

Strenge Urteile in Bayern und Hessen

Die statistische Auswertung der 1,5 Millionen Entscheidungen zeigt deutlich, dass es signifikante regionale Unterschiede bei der Strenge der Amts- und Landgerichte gibt. In etwa einem Fünftel der Gerichtsbezirke liegen die Strafen mindestens zehn Prozent über Bundesdurchschnitt und in einem weiteren Fünftel zehn Prozent unter dem Bundesdurchschnitt. Im Mittel sind die Strafen in Oberbayern und Südhessen besonders hoch und in Baden und Schleswig-Holstein besonders mild. Im untersuchten Zeitraum waren die Richter im Landgerichtsbezirk München I am strengsten und im Freiburger Bezirk am mildesten.

Dass in Hessen härtere Strafen ausgeworfen werden, ist nach meiner Wahrnehmung ein neues Phänomen. Bis Ende der 00er-Jahre waren die Gerichte in Hessen vielmehr dafür bekannt, milde zu strafen, so der Strafverteidiger Markus Sittig.

Raub, also das Wegnehmen von fremdem Eigentum unter Androhung oder Anwendung von Gewalt, wird im bundesweiten Mittel mit einer Freiheitsstrafe von rund zwei Jahren und zwei Monaten bestraft. In Kiel erhalten Täter hingegen im Durchschnitt lediglich eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten, während in Koblenz die Freiheitsstrafe im Mittel bei zwei Jahren und fünf Monaten liegt. Die Differenz bei einer ähnlichen Tat und ähnlichen Umständen liegt also bei sechs Monaten. Ähnliche Differenzen hat Grundies auch bei anderen Delikten entdeckt.

Ursachen der regionalen Unterschiede

Grundies hat in seiner Studie zudem die Ursachen der regionalen Unterschiede bei der Härte der Urteile untersucht. Wie er erklärt, müssen Richter in Strafverfahren etliche Faktoren berücksichtigen und den aktuellen Fall mit ähnlichen Entscheidungen vergleichen. Diese Praxis ist laut dem Wissenschaftler jedoch problematisch, weil auch erfahrene Richter nicht alle Entscheidungen kennen können und sich deshalb lokale Tendenzen bilden.

„Die Richter kennen vor allem Urteile aus ihrer Umgebung.“

Die sogenannte Vererbung regionaler Traditionen bei der Sanktionierung im Strafrecht hat bereits eine Studie aus dem Jahr 1971 offenbart, laut der lediglich ein kleiner Teil der befragten bayerischen Richter (24 %) ihr Urteil nicht anpassen würden, wenn zuvor ein Kollege in einem ähnlichen Strafverfahren eine signifikant andere Entscheidung getroffen hätte. Als weiteren Grund nennt der Forscher Karriereentscheidungen der Richter, die verursachen möglichst keine von ihren Kollegen stark abweichenden Entscheidungen zu treffen, um ihre eigene berufliche Zukunft nicht zu gefährden.

Außerdem spielt die jeweilige Landespolitik bei der Härte in Strafverfahren eine große Rolle. Deutlich wird dies daran, dass Urteile mehrere Amts- und Landgerichte aus demselben Bundesland sich nur geringfügig unterscheiden, während die Unterschiede zwischen mehreren Bundesländern teilweise groß sind.

Gerade vor dem Hintergrund dieser Studie ist es bucgt nachvollziehbar, dass in der Revisionsrechtsprechung die konkrete Strafzumessung im Wesentlichen den Tatgerichten überlassen wird. Da diese offensichtlich vor Allem von verfahrensfremden Faktoren geleitet wird, wäre die Herstellung einer Binnengerchtigkeit durch die Obergerichte mehr als wünschenswert, so Markus Sittig.

Berliner Anwaltsblatt, doi: 10.37307/j.2510-5116.2020.05.33

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