Dennis L.
Bis heute bildet die von Albert Einstein beschriebene Allgemeine Relativitätstheorie die physikalische Grundlage für alle Berechnungen zur Gravitation im Universum. Seit einigen Jahren wird diese Theorie doch von immer mehr Physikern angezweifelt. Anstatt von einer konstanten Gravitation, geht die sogenannte alternative Chamäleon-Theorie von einer veränderlichen Gravitation aus – welche zudem viele Fragen klären kann, auf die Einsteins Theorie keine Antworten findet.
Durham (England). Um zu Beginn den Astrophysiker Prof. Dr. Harald Lesch zu zitieren: „Wir können nicht beweisen, dass etwas richtig ist. Wir können nur beweisen, das etwas falsch ist. Wenn die Allgemeine Relativitätstheorie falsch ist, dann ist sie verdammt gut falsch.“ Diese Aussage, die Lesch vor einigen Jahren im Zuge einer seiner TV-Sendungen traf, beschreibt die aktuelle Situation in der Physik ganz gut, denn Physiker der Durham University haben kürzlich erfolgreich eine alternative Theorie zur Allgemeinen Relativitätstheorie im großen Maßstab getestet. Diese Theorie geht von einer nicht konstanten Gravitation aus, sondern von einer von der Materiedichte abhängigen Gravitation.
Die Allgemeine Relativitätstheorie beschreibt die Wirkungsweise zwischen Materie einerseits sowie Raum und Zeit andererseits. Seit ihrer Veröffentlichung am 25. November 1915 wurde sie unzählige Mal getestet und stets bewies sie ihre scheinbare Richtigkeit. Jedoch haben Physiker in den letzte Jahrzehnten verschiedene Beobachtungen im Universum gemacht, die nicht mit Hilfe der Allgemeinen Relativitätstheorie erklärt werden können. Die Physik hat jedoch so sehr an Einsteins Theorie festgehalten, dass sie für Erklärungsversuche Begriffe wie beispielsweise den der Dunkle Energie eingeführt hat. Mit dieser Unbekannten ließe sich dann auch die Expansion des Universums erklären – so halbwegs. Die f(R)-Gravitation, die umgangssprachlich auch als Chamäleon-Theorie bezeichnet wird, kann nicht nur die Gravitation und ihre Wirkungsweise wie die Allgemeine Relativitätstheorie erklären, sie kann auch die Expansion des Universum ohne Dunkle Energie beschreiben.
Die Chamäleon-Theorie behauptet, dass die Gravitation im Universum nicht konstant ist, sondern sich je nach Massemenge in der Umgebung verändert. „Dadurch erhöht sich die Gravitation bis zu 4/3 in Umgebungen mit geringer Massedichte, während Regionen mit hohem Gravitationspotenzial von dieser Verstärkung abgeschirmt sind“, schreiben Christian Arnold und seine Kollegen Fachjournal Nature Astronomy.
Diese Eigenschaft der Gravitation ist in der Lage Fragen zu beantworten, welche die Allgemeine Relativitätstheorie offenließ. Unter anderem lässt sich so die beschleunigte Ausdehnung des Universums ohne Dunkle Energie erklären.
Bisher konnten Physiker die Gültigkeit der f(R)-Gravitation nur in unserem Sonnensystem testen. Hier konnte die alternative Theorie, wie auch die Allgemeine Relativitätstheorie, alle regionalen Wechselwirkungen der Masse erklären. Für größere Simulationen, wie beispielsweise die Entwicklung ganzer Galaxien, fehlte es den Physikern bisher an Rechenleistung.
Mit neuen und schnelleren Computern gelang Arnold und seinen Kollegen nun doch die gewünschten Simulationen durchzuführen. Dabei testeten sie auch gleich, ob sich bei der f(R)-Gravitation die gleichen Parameter wie bei der Allgemeinen Relativitätstheorie bildeten. Bestandteil der Simulationen waren zudem die hoch komplexen Wechselwirkungen zwischen zentralen supermassereichen Schwarzen Löchern mit den umgebenden Galaxien und der jeweiligen Sternbildungsrate innerhalb der Galaxie.
„Zum ersten Mal zeigen wir in unseren Simulationen, dass Galaxien mit Spiralarmen sich selbst dann bilden, wenn man die Gravitation verändert“, erklärt Arnold. Alle beobachteten Parameter der stellaren Masseverhältnisse, der Sternentstehungsrate bis hin zur Gasdichte stimmen mit den neuen Simulationen beider Theorien exakt überein. „Unsere Ergebnisse sagen nicht, dass die Relativitätstheorie falsch ist, aber sie zeigen, dass dies nicht der einige Weg ist, um die Rolle der Gravitation bei der Entwicklung des Universums zu beschrieben“, betont Arnold.
Dennoch sind weitere Falsifikationsversuche nötig. Zwar konnte die neuen Simulationen der f(R)-Gravitation zeigen, dass auch eine veränderliche Gravitation unser derzeitiges Universum erklären kann, dennoch muss diese alternative Theorie in den nächsten Jahren noch mehrfach durch Experimente und Beobachtungen beweisen, dass sie nicht falsch ist. „Auch wenn die aktuellen Resultate vielversprechend sind, in einigen Fällen, beispielsweise dem neutralen Wasserstoff, ist die Forschung noch sehr unvollständig – auch in Bezug auf die Allgemeine Relativitätstheorie“, erklärt Arnold abschließend. „Wir hoffen daher, dass unsere Forschungsergebnisse als Aufforderung zu weiteren detaillierten Studien der Allgemeinen Relativitätstheorie als auch der alternativen Modelle zur Gravitation dienen.“
Nature Astronomy, doi: 10.1038/s41550-019-0823-y