Lutetiumhydrid

Erstmals Supraleitung bei Raumtemperatur

Robert Klatt

Stickstoffdotiertes Lutetiumhydrid )retsehcoR fo ytisrevinUretsneF madA .J(Foto: © 
Auf den Punkt gebracht
  • Supraleiter, also Materialien ohne elektrischer Widerstand, gab es bisher nur bei extrem hohen Druck und sehr niedrigen Temperatur
  • Nun haben Physiker erstmals eine Material erschaffen, das bei Raumtemperatur und einem mäßigen Druck supraleitend wird

Forscher haben erstmals ein Material entdeckt, das bei mäßigem Druck und Raumtemperatur supraleitend wird. Das stickstoffdotierte Lutetiumhydrid, eine Verbindung aus Wasserstoff und Lanthanoid Lutetium, könnte die Ära der Raumtemperatur-Supraleiter einläuten.

Rochester (U.S.A.). Supraleiter sind Materialien, die beim Unterschreiten der sogenannten Sprungtemperatur einen elektrischer Widerstand gegen praktisch null haben. Der makroskopische Quantenzustand wurde von Heike Kamerlingh Onnes, einem Pionier der Tieftemperaturphysik, im Jahr 1911 entdeckt. Aktuell werden Supraleiter unter anderem in Kernspintomografen, Teilchenbeschleunigern und Quantencomputern verwendet. Weil die meisten Supraleiter ihren elektrischen Widerstand erst bei sehr tiefen Minustemperaturen erreichen, ist dazu aber eine komplexe Kühlung nötig.

Der britische Physiker Neil Ashcroft prognostizierte zudem bereits in den 1960er-Jahren, dass Wasserstoff bei Raumtemperatur supraleitend ist. Laut einer im Fachmagazin Science publizierten Studie ist dafür aber ein Druck von über 450 Gigapascal nötig, also ein Druck, der höher ist als im Erdkern. In den letzten Jahren entdeckte die Physik aber mehrere Materialien, die schon bei gemäßigten Minustemperaturen supraleitend werden, darunter Lanthanhydrid, das bereits bei nur 23 Grad Celsius supraleitend ist. Damit Lanthanhydrid supraleitend wird, ist aber auch eine  Druck von über 100 Gigapascal, dem Millionenfachen des atmosphärischen Drucks, nötig.

Raumtemperatur-Supraleiter bei gemäßigtem Druck

Wissenschaftler der University of Rochester haben laut einer Publikation im Fachmagazin Nature nun erstmals ein Material erzeugt, das bei Raumtemperatur bei gemäßigtem Druck supraleitend ist. Zunächst suchten sie dafür nach einem Material, das von der Elektronenstruktur her ein guter Partner für den Wasserstoff ist. Besonders geeignet ist Lanthanoid Lutetium, das eine volle 4f-Elektronenschale besitzt und deshalb viele Elektronen für die Bildung der supraleitenden Elektronenpaaren hat.

Anschließend suchten die Physiker nach einer Methode, um den Druck zu reduzieren, der nötig ist, damit das Material supraleitend wird. Supraleitend ist ein Material, wenn dessen Kristallgitter so schwingen kann, dass die Bildung von Elektronenpaaren möglich ist.

„Die Schlüsselfrage war, wie wir die Struktur soweit stabilisieren können, dass weniger Druck nötig ist? An diesem Punkt kam der Stickstoff ins Spiel.“

Die Wissenschaftler entdeckten in diesem Schritt, dass eine kleine Menge Stickstoff das Kristallgitter stabilisieren kann und dadurch den Druck reduziert, bei dem das Material supraleitend wird.

Wasserstoffgas mit einem Prozent Stickstoff

Um ihre Entdeckung experimentell zu untersuchen, nutzten die Forscher um Nathan Dasenbrock-Gammon Wasserstoffgas mit einem Prozent Stickstoff. Diese Gasmischung leiteten sie gemeinsam mit einem dünnen Stück Lutetium in einen Diamant-Stempelzelle. Bei einer Temperatur von 65 Grad Celsius und einem Druck von zwei Gigapascal entstand in der Reaktionskammer bläuliches, stickstoffdotiertes Lutetiumhydrid.

Danach erwärmten die Forscher das Material ausgehend von einer Temperatur von minus 170 Grad Celsius langsam. Der Druck wurde dabei ausgehend von normalem Druck parallel erhöht. Bei einem Druck von 0,3 Gigapascal kam es im dotierten Lutetiumhydrid zu einem Wandel, bei dem sich die Kristallstruktur von blau zu einem intensiven Pink verfärbte.

Supraleitend bei 20,8 Grad Celsius

Wie Ranga Dias erklärt, entstand durch diesen Wandel der Kristallstruktur ein Supraleiter.

„Dieser Übergang des Systems in die Phase II leitet den Beginn des supraleitenden Regimes ein. Der Übergang zum supraleitenden Zustand zeigte sich in einem scharfen Abfall des elektrischen Widerstands innerhalb weniger Grad.“

Während des Experiments stieg die Temperaturschwelle für die Supraleitung von minus 102 Grad Celsius bei 0,5 Gigapascal auf 20,8 Grad Celsius bei einem Gigapascal. Die Supraleitung wurde durch die thermodynamische Kalorimetrie und den Test der magnetischen Eigenschaften verifiziert.

„Das Material zeigt damit eine Supraleitung bei Raumtemperatur und fast normalen Drücken.“

Der Druck von einem Gigapascal ist noch deutlich höher als der Atmosphärendruck, ist aber beispielsweise in der Chipindustrie und anderen technischen Fertigungsprozessen gängig. Laut den Forschern könnte mit stickstoffdotierten Lutetiumhydrid und ähnlichen Materialien deshalb die Ära der Raumtemperatur-Supraleiter beginnen.

„Supraleitende Consumer-Elektronik, widerstandsfreie Stromleitungen und Transport sowie signifikante Verbesserungen bei den Magneteinschluss-Verfahren für Fusionsreaktoren könnte nun Realität werden. Unsere Meinung nach sind wir nun in der Ära der modernen Supraleitung angekommen“

Science, doi: 10.1126/science.aal1579

Nature, doi: 10.1038/s41586-023-05742-0

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