Robert Klatt
Wissenschaftler haben erstmals bestimmt, dass Eiskristalle sich ab 90 Wassermolekülen bilden können. Diese sehr kleinen Kristalle sind aber nicht stabil, sondern oszillieren ständig zwischen ihrer amorphen und kristallinen Form hin und her.
Göttingen (Deutschland). Obwohl Wasser essenziell für alles Leben auf der Erde ist, stellt der Stoff die Wissenschaft noch heute vor Rätsel und sorgt regelmäßig für neue Entdeckung, wie beispielsweise Regen über der Antarktis, der auch bei minus 25 Grad Celsius nicht zu Eis wurde oder ein Nanomaterial, das dafür sorgt, dass Wasser selbst bei minus 263 Grad Celsius flüssig bleibt. Außerdem hat die Physik belegt, das Wasser mindestens 17 verschiedene Kristallstrukturen bilden kann, darunter quadratische Gitter, käfigförmige Kristalle und den bekannten sechseckigen Eiskristall.
Ab welcher Anzahl von Wassermolekülen ein Eiskristall entstehen kann, wurde bisher aber nur geschätzt. Nun haben Wissenschaftler der Universität Göttingen und der University of California in San Diego im Fachmagazin Proceedings of the National Academy of Science eine Forschungsarbeit publiziert, die ein Experiment beschreibt, mit dem untersucht wurde, ab welcher Molekülanzahl Wasser Eiskristalle bilden kann.
Dazu wurden verschiedene sehr geringe Wassermengen mit Hilfe eines Infrarot-Spektrometer beim Gefrieren beobachtet, um festzustellen, welche Struktur die Molekülansammlungen bilden. Laut den Wissenschaftler „enthalten die kleinsten Wasser-Cluster, die noch Eis bilden können 90 Wassermoleküle.“ Wasseransammlungen mit einer geringen Molekülanzahl gefrieren entweder gar nicht oder die geordnete Kristallstruktur löst sich unmittelbar nach der Bildung wieder selbstständig auf. Das Experiment konnte so die Mindestanzahl an Wassermolekülen für die Eisbildung erstmals präzise bestimmen.
Dabei wurde zufällig auch entdeckt, dass Eiskristalle, die aus 90 bis 150 Wassermolekülen bestehen, ihren Zustand wechseln und nicht dauerhaft gefroren bleiben. Dies liegt daran, dass Teile dieser sehr kleinen Wasserclusters ständig zwischen ihrer flüssigen und kristallinen Struktur hin und her oszillieren. Wie die Studienautoren erklären „unterscheidet sich diese Transition in diesen winzigen Tröpfchen stark vom makroskopischen Wasser und unserer Alltagserfahrung.“
Größere Wassermengen besitzen hingegen klar abzugrenzende Zustände, was bedeutet, dass sie entweder kristallin oder amorph sind. Thomas Zeuch, Co-Autor der Studie erklärt, dass „die Koexistenz der Aggregatzustände flüssig und fest durch Oszillationen einzelner Partikel ein seit den 1980er Jahren theoretisch vorhergesagtes Phänomen ist , das aber schwer experimentell nachgewiesen werden kann.“ Weil die Oszillationen kleinster Wasserkristalle auch in Proteinen vorkommen könnte, hat die Entdeckung der Wissenschaftler möglicherweise auch Auswirkungen auf die weitere Erforschung biologischer Prozesse, die diesen Zustand von Eis beziehungsweise Wasser bisher nicht berücksichtigt haben.
Proceedings of the National Academy of Science, doi: 10.1073/pnas.1914254116