Robert Klatt
Wissenschaftler haben in einem Quantensystem die Zeit rückwärtslaufen lassen und ein Photon in seinen Ursprungszustand zurückversetzt. Das System kann somit auch Entwicklungen, die man nicht kennt, umkehren.
Wien (Österreich). In der Physik unterliegen Prozesse einer bestimmten Zeitrichtung. Ein Glas kann auf den Boden fallen und dort zerbrechen, sich aber nicht wieder zusammensetzen und an seinen Ursprungsort zurückkehren. Dass ein solcher Prozess respektive die Zeit rückwärts abläuft, ist laut dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, laut dem in jedem geschlossenen System die Entropie (Grad der Unordnung) zunimmt, nämlich nicht möglich.
In der Quantentheorie gelten andere Regeln, laut denen eine Prozessumkehr aber ebenfalls nicht möglich erscheint. Entscheidend ist hierbei vor allem ein Kernprinzip der Quantenphysik, das postuliert, dass es in Systemen allein durch Beobachtung zu Veränderungen kommt. Es ist somit prinzipiell unmöglich, in einem Quantensystem Veränderung in ihrem zeitlichen Ablauf zu beobachten und den Prozess umzukehren.
Wissenschaftler der Universität Wien ist es nun gelungen, mit den Gesetzen der Quantenmechanik ein Quantensystem wieder in dessen Anfangszustand zu versetzen und dabei parallel die Zeit rückwärts laufen zu lassen. Wie die Physiker im Fachmagazin Optica erklären, mussten sie dafür den Ausgangszustand des Quantensystems nicht kennen.
Die Basis des Experiments bildet ein sogenanntes Rewinding-Protokoll, das der theoretische Physiker Miguel Navascues vom Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) erdacht hat. Vereinfacht erklärt, ermöglicht es das Rewinding-Protokoll in einem Quantensystem Veränderungen über die Zeit umkehren, indem die Entwicklung des Systems an eine andere Entwicklung gekoppelt wird.
Physiker der Universität Wien und des IQOOI um Philip Walther haben nun die Theorie vom Navascues erstmals experimentell realisiert. Als Quantensystem verwendeten sie ein einzelnes Photon, dessen Polarisation mehrmals geändert wurde.
„Es war eines der schwierigsten Experimente, die wir je für ein einzelnes Photon aufgebaut haben.“
In ihrem Experiment haben die Forscher die Entwicklung des Photons mit einer weiteren Polarisation überlagert. Sie konnten dadurch nicht mehr wissen, welcher der beiden Prozesse zuerst kommt. Die zweifache Anwendung des Quantenswitches sorgte dafür, dass innerhalb des Quantensystems die Zeit rückwärtslief und dass das Photon seinen Ausgangszustand einnahm. Erstaunlich ist, dass die Physiker für die Umkehr des Prozesses nicht wissen mussten, was der Anfangs- und Endzustand des Lichtteilchens war und wie sich das Photon im Zeitverlauf verändert hat.
„Wir haben damit eine Maschine gebaut, die eine Entwicklung, die wir nicht kennen, umkehren kann – durch ein allgemeines Rezept, das für diese Größe der Systeme, wie in unserem Fall die Veränderung der Polarisation von Photonen, allgemein gültig ist.“
Die Autoren bezeichnen ihre Entdeckung als „fundamental unglaublich interessant“. Sie sind aber auch davon überzeugt, dass es technologische Anwendungsfälle gibt. Denkbar ist etwa, dass ein Rewinding-Protokoll in einen Quantenprozessor integriert wird, damit dieser Fehler oder unerwünschte Entwicklungen rückgängig machen kann.
Optica, doi: 10.1364/OPTICA.469109