Robert Klatt
Haare erzeugen beim Rasieren winzige Risse und Kanten, die zur Abstumpfung der Klinge führen. Ein klassisches Abstumpfen, bei dem die Klinge rund wird, tritt an der Schneidkante hingegen nicht auf.
Cambridge (U.S.A.). Moderne Rasierklingen werden aus geschichtetem Edelstahl, auch bekannt als Lattenmartensit gefertigt. Zusätzlich erhalten die Klingen einen noch härteren Kohlenstoffüberzug sowie eine reibungshemmenden Polymerschicht. Eigentlich sollten Rasierklingen, deren Schneiden für optimale Schärfe im Winkel von 17 Grad geschliffen werden, daher nicht stumpf werden.
Cem Tasan vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) erklärt, dass „es wirklich erstaunlich ist, dass man etwas so Weiches wie ein menschliches Haar mit etwas sehr hartem wie dem Stahl schneiden kann und trotzdem gibt der Stahl nach.“ Die Forscher des MIT haben deshalb untersucht, wieso das menschliche Haar die dünne Schneidkante der Rasierklingen stumpf machen kann.
Laut der im Fachmagazin Science publizierten Studie untersuchte das Team um Gianluca Roscioli dafür Rasierklingen nach jeder Nutzung im Elektronenmikroskop, um kleinste Veränderungen an der Schneidkante erkennen zu können. Entgegen den Annahmen zeigte sich dabei, dass beim Rasieren kein klassisches Abstumpfen auftrifft, das dafür sorgt, dass die Schneidkante rund wird.
Stattdessen zeigt die Untersuchung mit dem Elektronenmikroskop, dass beim Rasieren Risse und Kerben auf der Schneidkante entstehen. Wie Roscioli erklärt, „breiten sich diese Mikrorisse zunächst senkrecht zur Kante aus, bevor sie dann ihre Richtung ändern und im Bogen zurückführen – dadurch entsteht die Geometrie der Abplatzungen.“
Die Wissenschaftler bemerkten dabei, dass die Kanten und Mikrorisse sich nicht bei jeder Rasur bilden und nur an bestimmten Stellen der Schneidkanten entstehen. Tasan erklärt, dass die Wissenschaftler deshalb „herausfinden wollten, unter welchen Bedingungen dieses Abplatzen stattfindet und was es braucht, um den Stahl zum Nachgeben zu bringen.“ Sie zerschnitten deshalb mit einer Rasierklinge, die unter einem Elektronenmikroskop angebracht war, Haare mit unterschiedlichen Durchmessern in verschiedenen Winkeln.
Das Experiment zeigt, dass beim Schneiden im rechten Winkel keine Verformung und kein Abplatzen an der Schneidkante auftreten. Bei einem Winkel von 21 Grad, der deutlich näher an einer realen Rasur ist, kam es hingegen an mehreren Stellen der Schneidkante zu plastischen Verformung des Stahls und Mikrorissen. Die Anzahl und Dicke der Haare hat hingegen nur einen minimalen Einfluss.
Außerdem beobachteten die Wissenschaftler, dass sich Risse vor allen dort bildeten, wo die Haarränder die Schneidkante trafen. Laut Roscioli „kann dadurch ein einzelnes Haar zwei Kerben in einer Schneide verursachen – jede von ihnen beginnt an einer der beiden Seiten des Haares.“ Eine detaillierte Analyse zeigt, dass dies immer passiert, wenn die relativ harte Außenhülle eines Haares auf weiche Stellen der Stahlstruktur trifft.
Die Schneidkante wird also nur dann stumpf, wenn das Haar die Rasierklinge im flachen Winkel berührt, und die härtere Hülle des Haares eine weiche Stelle der heterogene Mikrostruktur trifft. Wie die Wissenschaftler erklären, „werden kommerzielle Rasierklingen erst nach mehrfacher Benutzung stumpf, weil diese Bedingungen aber nur in einigen Fällen alle zusammenkommen.“
Science, doi: 10.1126/science.aba9490