Robert Klatt
Zeitreisen galten in der klassischen Physik aufgrund der kausalen Paradoxa bisher als unmöglichen. Eine neue Betrachtung zeigt nun, dass zumindest mathematisch Zeitreisen auch in der makroskopischen Welt möglich sind, ohne dass dabei Paradoxa entstehen.
Brisbane (U.S.A.). Der Mathematiker Kurt Gödel entdeckte bereits im Jahr 1949, dass die von Albert Einstein aufgestellten Feldgleichungen sogenannte geschlossene zeitartige Kurven (closed timelike curves, CTC) zulassen. Rein physikalisch betrachtet ermöglichen sie, dass ein Objekt in seine eigene Vergangenheit zurückkehrt. Technisch sind solche Zeitreisen aber noch immer unmöglich, obwohl theoretisch die enorme Gravitationswirkung eines Schwarzen Lochs eine so starke Krümmung der Raumzeit auslösen könnte, dass sich eine geschlossene Schleife bildet.
In der Wissenschaft wurden Zeitreisen außerdem lange für unmöglich gehalten, weil kausale Paradoxa auftreten können. Bekannt ist vor allem das Großvaterparadoxon, bei dem ein Zeitreisender in der Vergangenheit seinen Großvater tötet und dadurch in der Zukunft seine eigene Geburt verhindert. Dies hätte wiederum zur Folge, dass die zeitreisende Person in seiner Zeit gar nicht existiert, was auch das Zurückreisen in die Vergangenheit unmöglich machen würde. In der klassischen Physik sind solche kausalen Paradoxa nicht möglich.
Ausnahmen bildet die Quantenphysik, die Zeitreisen ohne das Paradoxon ermöglicht. Dies liegt daran, dass in der Quantenphysik Teilchen der Wahrscheinlichkeiten unterworfen sind. Angenommen der Großvater wäre ein Photon, dann wäre er, obwohl sein zeitreisender Enkel ihn in der Vergangenheit getötet hatte, in einem Teil der Wahrscheinlichkeitsverteilung noch immer am Leben. In der klassischen Physik gibt es dieses Schlupfloch hingegen nicht, was dazu führte, dass das kausale Paradox in der makroskopischen Welt als nicht lösbar galt.
Ein Team der University of Queensland um Germain Tobar hat laut einer Publikation im Fachmagazin Classical and Quantum Gravity eine mathematische Lösung für das Problem des kausalen Paradoxons für die makroskopische Welt gefunden. Der Schlüssel dabei liegt laut den Studienautoren darin, sowohl die Tötung des Großvaters als lokales Geschehen wie auch die verknüpften Ereignisse zu betrachten. Laut Tobar „gibt es eine Reihe von Szenarien die, wenn multiple lokale Regionen in Gegenwart einer Zeitschleife miteinander kommunizieren dem Akteur alle Handlungsfreiheit geben, ohne dass logische Inkonsistenzen wie das Großvaterparadox auftreten.“
Laut Tobar „zeigt die Bandbreite der mathematischen Prozesse, die die Forscher entdeckt haben, dass Zeitreisen mit einem freien Willen in unserem Universum ohne Paradoxon möglich sind.“ Es ist laut den Mathematikern also möglich, dass ein Zeitreisender in Vergangenheit seinen Großvater töten und in der Zukunft trotzdem geboren wird.
Als weiteres Beispiel nennt Tobar die Covid-19-Pandemie. „Stellen Sie sich vor, Sie würden in der Zeit zurückreisen, um den Patient Null vor einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 zu bewahren. Wenn dies gelänge, fände die Pandemie nicht statt und damit gäbe es auch keinerlei Motivation, diese Zeitreise überhaupt zu unternehmen.“
Betrachtet man diese Situation unter Berücksichtigung des neuen Gedankenexperiments würde es hingegen dazu kommen, dass die Handlungen des Zeitreisenden das Ergebnis zu beeinflussen, dass dieses gleichbleibt. Das Universum sorgt also praktisch durch das Verschieben lokaler Prozesse eigenständig dafür, dass die Zeitlinie, die die Zeitreise ausgelöst hat, eingehalten wird. Mathematisch kann das Großvaterparadoxon so gelöst werden.
Wie Tobar erklärt „bedeutet dies im Beispiel mit dem Patienten Null der Corona-Pandemie, dass Sie versuchen können, den Patienten vor der Infektion zu bewahren.“ Indem der Zeitreisende dies tut, wird er laut Tobar „aber selbst angesteckt und ist nun Patient Null oder bewirkt mit seiner Handlung die Infektion von jemand anderem.“ Die Pandemie würde also auch beginnen, wenn der Zeitreisende die eigentliche Erstinfektion beim Patienten Null verhindert.
Weitere Studien sollen nun untersuchen, ob die Prinzipien des mathematischen Gedankenspiels auch im realen Universum funktionieren
Classical and Quantum Gravity, doi: 10.1088/1361-6382/aba4bc