Robert Klatt
Psychische Krankheiten, vor allem Stimmungs-, Angst- und Essstörungen, übertragen sich über soziale Netzwerke zwischen jungen Menschen. Wenn ein Klassenkamerad eine entsprechende Diagnose erhält, leiden seine Mitschüler im später Leben mit höherer Wahrscheinlichkeit ebenfalls an einer psychischen Störung.
Helsinki (Finnland). Kinder orientieren sich in vielen Dingen an ihrem sozialen Netzwerk, etwa an anderen Kindern aus ihrer Schulklasse. Forscher der Universität Helsinki um Christian Hakulinen haben nun eine Studie publiziert, die untersucht hat, ob sich dies auch auf die Übertragung von psychischen Krankheiten auswirkt. Dazu haben sie Gesundheitsdaten von über 700.000 Neuntklässler aus 860 finnischen Schulen analysiert, die ab der neunten Klasse im Mittel über einen Zeitraum von elf Jahren beobachtet wurden.
Laut der Studie steigt das Risiko, später an einer psychischen Krankheit zu leiden, wenn zuvor eine entsprechende Diagnose bei einem Klassenkameraden erfolgt ist. Besonders auffällig ist die Korrelation bei Stimmungs-, Angst- und Essstörungen.
„Der beobachtete Zusammenhang war im ersten Jahr der Nachbeobachtung am stärksten ausgeprägt. Dies konnte nicht durch eine Reihe von Faktoren erklärt werden, die mit Eltern, Schule und Wohngebiet zusammenhängen. Der Zusammenhang war am deutlichsten bei Stimmungs-, Angst- und Essstörungen.“
Ältere Studien habe bereits ähnliche Ergebnisse geliefert. Eine Studie aus den U.S.A. hat etwa gezeigt, dass Depressionen innerhalb eines sozialen Netzwerks übertragen werden können. Wie die Forscher der Universität Helsinki in ihrer Publikation im Fachmagazin JAMA Psychiatry erklären, wurden die sozialen Netzwerke bei bisherigen Studien von den Autoren jedoch selbst gewählt. Es kann dadurch zu Verzerrungen in den Ergebnissen kommen. Wie Hakulinen erklärt, ist eine Schulklasse hingegen aus Forschungsperspektive gut geeignet als soziales Netzwerk, weil Schüler ihre Klassenkameraden nicht selbst aussuchen können.
„Die Definition der sozialen Netzwerke und die Verfolgung der Jugendlichen wurden durch umfangreiche finnische Register ermöglicht. Die Ergebnisse vertiefen unser Verständnis darüber, wie sich psychische Gesundheitsprobleme entwickeln und andere Menschen in unseren sozialen Netzwerken beeinflussen.“
Die Forscher erklären jedoch, dass die festgestellten Korrelationen keine Kausalität erklären können. Zudem zeigt die Studie nicht, wie psychische Krankheiten zwischen Menschen übertragen werden.
„Es könnte beispielsweise sein, dass die Schwelle für die Inanspruchnahme von Hilfe bei psychischen Problemen sinkt, wenn es in Ihrem sozialen Netzwerk eine oder mehrere Personen gibt, die bereits Hilfe für ihre Probleme gesucht haben. Tatsächlich kann diese Art der Normalisierung von Diagnose und Behandlung als eine Art vorteilhafte Ansteckung von psychischen Störungen betrachtet werden.“
JAMA Psychiatry, doi: 10.1001/jamapsychiatry.2024.1126