Kognitive Verzerrung

Deshalb wird die Größe von Minderheiten regelmäßig überschätzt

 Robert Klatt

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Die Anteile von Minderheiten an der Gesamtbevölkerung werden oft überschätzt. In der Sozialpsychologie ging man bisher davon aus, dass diese Verzerrung entsteht, weil diese Gruppen als vermeintliche Gefahr wahrgenommen werden. Nun wurde der wahre Grund dafür entdeckt.

Stony Brook (U.S.A.). In Deutschland und vielen anderen Ländern fühlen sich viele Menschen von Minderheiten bedroht. Unterschiedliche Studien haben bereits belegt, dass die Wahrnehmung der Größenverhältnisse oft falsch ist. Viele Menschen überschätzen demnach den Anteil von Minderheiten an der Gesamtbevölkerung stark. In der Psychologie ging man bisher davon aus, dass diese kognitive Verzerrung entsteht, weil Minderheiten als Gefahr angesehen werden oder weil Menschen direkt oder indirekt häufig Kontakt zu Minderheiten haben.

Forscher der Stony Brook University (SBU) haben nun eine Studie publiziert, laut der diese Annahmen falsch sind. Laut der im Fachmagazin PNAS erschienenen Studie wird die Größe von Minderheiten oft falsch eingeschätzt, weil die meisten Menschen Prozentanteile nicht korrekt einordnen können.

Falsche Einschätzung von Mehr- und Minderheiten

Hans Alves, Psychologe von der Ruhr-Universität Bochum (RUB), der nicht an der Studie beteiligt war, erklärt, dass dieses Phänomen dazu führt, dass Mehrheiten unterschätzt und Minderheiten überschätzt werden.

„Wenn ich nicht genau weiß, wie viele Menschen mit türkischem Migrationshintergrund es in Deutschland gibt, wird meine Schätzung auch einen Teil zufälligen Ratens beinhalten, und zufälliges Raten zieht die Häufigkeitsschätzung in Richtung 50 zu 50 Prozent.“

Laut Alves wurde das Phänomen in der Sozialpsychologie bisher vor allem durch die Meinung von Menschen gegenüber anderen Gruppen erklärt.

„Das Paper argumentiert nun, dass es eine einfachere Erklärung gibt. Sie liegt in der Art und Weise, wie Menschen ganz allgemein Häufigkeiten schätzen.“

Umgang mit Ungewissheit

Andreas Zick, Sozialpsychologe von der Universität Bielefeld. Der ebenfalls nicht an der aktuellen Studie beteiligt war, erklärt zudem, dass Menschen laut den neuen Ergebnissen oft mit Ungewissheit falsch umgehen.

„Sie passen die Informationen an ihre Vorannahmen an und kommen zu massiven Fehleinschätzungen, gerade in Bezug auf demografische Fakten. Das führt in vielen Fällen zu Verzerrungen wie auch dazu, dass wir unter Bedingungen von Ungewissheit Vorannahmen eher bestätigen als sie zurückstellen. Ungewissheit wird so in falsche Gewissheit navigiert.“

Laut Zick tritt die Fehleinschätzung der Größe von Minderheiten nicht nur bei einzelnen Gruppen auf.

„Egal, ob es um Immigranten geht und wie viele sie sind, oder darum, wer Handys nutzt.“

Angesichts der neuen Erkenntnisse sollten Medien bei Berichten über demografische Informationen die oft verzerrte Wahrnehmung berücksichtigen.

„Sie müssen einerseits mit einer verzerrten Informationsverarbeitung rechnen, können andererseits aber durch guten Journalismus gerade in Krisenzeiten Fakten liefern.“

Besonders relevant ist das Problem etwa bei politischen Themen wie dem Umgang mit Migranten. Populisten nutzen die falsche Einschätzung der Minderheiten und die daraus resultierende Überschätzung des Problems oft für ihre Zwecke.

„Populisten können darauf bauen, dass sie Vorurteile triggern können, indem sie Menschen suggerieren, dass sie ihren Alltagsverstand einschalten und auf den gesunden Menschenverstand vertrauen sollten.“

PNAS, doi: 10.1073/pnas.2413064122

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