Abwarten, Schlange stehen & Co

Die Psychologie des Wartens

D. Lenz

Warten erfordert Geduld )ed.oilexipmrutS reniaR(Foto: © 

Wir warten mehrmals täglich auf etwas oder auf jemanden, aber jeder Mensch geht anders damit um.

Ein Mensch verbringt im Schnitt rund ein bis zwei Jahre seines Lebens damit, auf jemanden oder etwas zu warten: In der Supermarktschlange, an der Bushaltestelle oder auf eine Bestellung. Besonders vor den anstehenden Feiertagen, an denen sich die Menschen im Supermarkt tummeln, kommt wieder die Frage auf: Lohnt es sich, „einfach“ zu warten? Die meisten Menschen sind vom Warten genervt. Sie erledigen in der Zwischenzeit lieber einen anderen Weg oder zahlen viel Geld, um sich das lange Anstehen zu ersparen. Ob jemand warten kann, hat darüber hinaus auch mit dem Alter und der Erziehung zu tun.

Kinder können besonders schlecht warten

Geht es um eine Belohnung, können Kinder es kaum abwarten, diese zu erhalten. Sie zeigen sich äußerst ungeduldig und unzufrieden, wenn sie darauf warten müssen. Forscher untersuchten dieses Phänomen bereits in einigen Studien. Einigen Probanden gaben sie eine Schokolade und boten den Kindern die doppelte Portion an, wenn sie diese nach 15 Minuten noch nicht verzehrt hatten. Rund 25 Prozent der Kinder schlugen das Angebot jedoch in den Wind und aßen die Schokolade sofort. Der Grund, warum die Kinder ungeduldiger sind als Erwachsene, ist die differenzierte Wahrnehmung von Raum und Zeit. Kinder nehmen zeitliche Abstände anders wahr und sind erst ab dem dritten Lebensjahr in der Lage, überhaupt ein Zeitgefühl zu entwickeln. Selbst die Vorschulkinder zwischen drei und sechs Jahren legen ein sehr impulsiv gerichtetes Verhalten an den Tag und haben noch keinerlei Strategien entwickelt, wie sie ihr Verlangen nach einer Sache kontrollieren und zurückhalten. Diese Fähigkeit der Impulskontrolle entwickelt sich zunehmend ab dem fünften Lebensjahr und schreitet in der Pubertät noch weiter fort.

Auch Erwachsene haben Probleme mit dem Warten

Erwachsene haben ebenso wie Kinder Probleme, auf etwas zu warten, verbergen ihre Empfindungen jedoch besser. Für sie spielt es weniger eine Rolle, wie lange sie tatsächlich warten müssen, sondern mehr, wie lange sich das Warten anfühlt. Es gibt verschiedene Gründe, warum das Warten für viele Menschen so lästig erscheint:

  • Langeweile: Ein entscheidendes Kriterium ist die Langeweile. An der Kasse oder in einer anderen Warteschlange gibt es nichts zu tun. Die ganze Aufmerksamkeit ist also auf das Warten gerichtet.
  • Seelische Verfassung und der allgemeine Gemütszustand: Wer ohnehin bereits einen schlechten Tag hat, wartet auch weniger gern als Menschen, die einen guten Tag erleben. Sie zeigen sich dann zufriedener und beschweren sich auch dann nicht, wenn sie eine längere Zeit warten müssen.
  • Zeitdruck: Auch der Zeitdruck spielt in der Psychologie des Wartens eine Rolle. Menschen, die in Eile sind und möglicherweise einen wichtigen Termin haben, nehmen die Situation anders wahr als Personen, die nicht dringend an einen anderen Ort müssen.

Ist Warten ein kulturelles Phänomen?

Das Warten kann durchaus als kulturelle Eigenheit aufgefasst werden. Je schnelllebiger eine Gesellschaft ist, umso schwerer fällt es den Menschen aus diesem Kulturkreis, auf etwas zu warten. Für viele Menschen laufen die Geschehnisse laut den Erkenntnissen aus der Forschung „linear“, das bedeutet, in einer bestimmten zeitlichen Reihenfolge ab. Die vom Kapitalismus geprägten Menschen trennen produktive Phasen und Freizeit strikt voneinander – und haben somit eher das Gefühl, ihre wertvolle Zeit zu verwenden. So legen diese Gesellschaften viel Wert auf Ordnung und pünktliches Erscheinen. Menschen aus anderen Kulturkreisen ist diese Denkweise hingegen fremd. Vor allem im asiatischen oder afrikanischen Raum sind es die dortigen Einheimischen gewohnt, ihre Aufgaben parallel zu erledigen. In ihrer Denkweise sind Arbeit und Freizeit enger miteinander verwoben als hierzulande.

Die positiven Seiten des Wartens

Warten hat durchaus positive Seiten – zumindest, wenn es nach Walter Mischel und seinem berühmten „Marshmallow- Test“ geht. Er setzte Kinder, denen er einen Marshmallow gab, alleine in einen Raum. Er versprach ihnen eine weitere Süßigkeit, wenn sie das Marshmallow bis zu seiner Rückkehr nicht essen würden. Er kehrte einige Minuten später zurück und stellte fest, dass einige Kinder das Marshmallow angeknabbert oder ganz gegessen hatten. Der zweite Teil des Tests folgte Jahre später, denn meldete sich Michel erneut bei den Kindern. Er wollte wissen, wie erfolgreich diese inzwischen im College und privaten Leben waren. Das Ergebnis: Die Kinder, die warten konnten, waren erfolgreicher und zielstrebiger als die Kinder, welche die Süßigkeit sofort gegessen hatten. Geduld würde sich also in vielen Lebensbereichen auszahlen: Wer warten könne, nehme beispielsweise eine längere Ausbildung in Kauf und bekäme anschließend einen besseren Job. Auch hätte ein Mensch, der besser warten kann, eher Chancen, in der Wirtschaft oder auf dem Finanzmarkt Fuß zu fassen. Auch beim Thema Glücksspiele zahlt sich das Warten aus. Wer geduldig ist, könne auch mal auf einen Gewinn warten. Ein geduldiger Mensch gibt nicht nach der ersten Niederlage auf, sondern entwickelt lieber Strategien für einen langfristigen Gewinn, indem er auf die Erfahrungen anderer baut, die sich im Internet nachlesen lassen. Weiterhin fördere Warten die Kreativität und stimmt fröhlicher – nicht umsonst gibt es den Begriff der „Vorfreude“.

Soforthilfe für Ungeduldige: Wie gelingt das Warten?

Für Ungeduldige gilt: Lieber einmal tief durchatmen und sich ablenken, bevor geschimpft wird. In einer Schlange lassen sich beispielsweise durchaus Freundschaften schließen – vielleicht mit dem wartenden Hintermann? Gemeinsames Warten fällt leichter und stimmt fröhlicher. Natürlich ist auch gegen ein wenig Tagträumen nichts einzuwenden – solange man das anstehende Ereignis dadurch nicht versäumt.

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