Robert Klatt
Menschen mit extremistischen Tendenzen besitzen ein gemeinsames psychologisches Profil, das vor allem durch eine geringe mentale Leistungsfähigkeit auffällt.
Cambridge (England). Extremistische Ideologien wie Links- und Rechtsextremismus sowie religiöser Fanatismus besitzen in der Regel eine klare Unterteilung in Gut und Böse, aus denen einfache Lösungen und Handlungsempfehlungen abgeleitet werden können. Es kommt deshalb häufig vor, dass Anhänger extremistischer Ideologien versuchen, diese auch mit Gewalt gegen vermeintliche Feinde durchzusetzen.
Ansätze, die einer Radikalisierung von Menschen möglichst früh entgegenwirken sollen, verwenden zur Auswahl derzeit hauptsächlich demografische Daten, wie das Alter, das Geschlecht und die Ethnie. Anhand deren lässt sich aber nur sehr begrenzt prognostizieren, ob eine Person empfänglich für eine extremistische Ideologie ist.
Wissenschaftler der University of Cambridge haben deshalb untersucht, ob extremistische Tendenzen besser anhand psychologische Merkmale erkannt werden können. Laut der im Fachmagazin Philosophical Transactions of the Royal Society B publizierten Studie führten dazu 334 Probanden eine Reihe von Persönlichkeits- und Kognitionstests durch. Inhalte dieser Tests waren unter anderem das Merken von Wörtern, das Ordnen farbiger Scheiben und das Treffen schneller Entscheidungen. Der Persönlichkeitstest ermittelte die emotionale Kontrolle, die Zielstrebigkeit und das soziale und emotionale Risikoverhalten.
In einem späteren Studienabschnitt stellte das Team um Leor Zmigrod den Probanden überdies Fragen zur religiösen und politischen Themen, darunter Fragen zum Familienbild, Patriotismus, Waffenbesitz und ihrer Gewaltbereitschaft gegenüber Andersdenkenden.
Anschließend ermittelten sie mithilfe von statistischen Methoden, ob zwischen den Antworten auf die Fragen und den Ergebnissen der Persönlichkeits- und Kognitionstests Zusammenhänge bestehen.
Leor Zmigrod: „Ich interessiere mich für die Rolle, die verborgene kognitive Funktionen bei der Gestaltung des ideologischen Denkens spielen. Viele Menschen werden in ihrem Umfeld Personen kennen, die sich radikalisiert haben oder zunehmend extreme politische Ansichten vertreten, sei es auf der linken oder rechten Seite. Wir wollten wissen, warum bestimmte Personen anfälliger sind.“
Leor Zmigrod: „Extreme Einstellungen für eine bestimmte Gruppe, einschließlich der Befürwortung von Gewalt gegen Personen außerhalb dieser Gruppe, waren mit einem schlechteren Arbeitsgedächtnis, langsameren Wahrnehmungsstrategien und Tendenzen zu Impulsivität und Sensationssucht verbunden. Das spiegelt Überschneidungen mit den psychologischen Profilen des Konservatismus und Dogmatismus wider.“
Auch andere politische Einstellungen lassen sich laut der Datenanalyse anhand von Persönlichkeitsmerkmalen erkennen. Konservative Personen besitzen demnach eine erhöhte Impulsivität und Zielstrebigkeit, Dogmatismus ist mit langsamen und vorsichtigen Entscheidungen verbunden und besitzt nur eine geringe soziale Risikobereitschaft.
Leor Zmigrod: „Subtile Schwierigkeiten mit komplexer mentaler Verarbeitung können Menschen unbewusst in Richtung extremer Doktrinen treiben, die klarere, definiertere Erklärungen der Welt bieten, was sie anfällig für toxische Formen von dogmatischen und autoritären Ideologien macht.“
In Zukunft sollen die Studienergebnisse dazu beitragen, Menschen, die für politischen und religiösen Extremismus anfällig sind, besser zu identifizieren und ihre Radikalisierung durch gezielte Präventionsprogramme möglichst früh zu stoppen.
Im Vergleich zur bisherigen Identifizierung solcher Personen anhand demografischer Daten ist das statistische Modell unter Einbezug von kognitiven und Persönlichkeitsmerkmalen in Abhängigkeit der jeweiligen Ideologie vier- bis fünfzehnmal leistungsfähiger.
Leor Zmigrod: „Es scheint versteckte Ähnlichkeiten in den Köpfen derjenigen zu geben, die am ehesten bereit sind, extreme Maßnahmen zu ergreifen, um ihre ideologischen Doktrinen zu verteidigen. Dies zu verstehen, könnte uns helfen, jene Personen zu unterstützen, die für Extremismus anfällig sind, und das soziale Verständnis über ideologische Grenzen hinweg zu fördern.“
Philosophical Transactions of the Royal Society B, doi: doi.org/10.1098/rstb.2020.0424