Robert Klatt
Laut einer aktuellen Studie gibt es im Profi-Fußball nahezu keinen Heimvorteil mehr, da die zunehmende Professionalisierung und die psychologische Betreuung der Spieler dafür sorgen, dass diese sich kaum noch von äußeren Einflüssen ablenken lassen.
Gent (Belgien). Wissenschaftler der belgischen Ghent University haben untersucht, ob ein Heimvorteil bei Fußballwettbewerben mit Hin- und Rückspiel, der laut Fans der Mannschaft, die das zweite Spiel im eigenen Stadion absolvieren kann den entscheidenden Vorteil bringen soll, wirklich existiert. Dazu wurden die Ergebnisse von 320 Spielen im Zeitraum zwischen 2010 und 2017 analysiert, die in den K.O-Runden der Champions League und der Europa League ausgetragen wurden.
Laut den Ergebnissen der im Fachmagazin Applied Economics Letters veröffentlichten Studie gibt es den angeblich so wichtigen Heimvorteil nicht. Bei den ausgewerteten Spielen konnte die Mannschaft, bei der das Rückspiel im eigenen Stadion stattfand die nächste Runde nur zu 48,8 Prozent erreichen. Mannschaften, die zum Rückspiel im Stadion des Gegners antreten mussten, zogen hingegen in 51,2 Prozent der Fälle in die nächste Runde ein.
Laut den Autoren der Studie zeigen die geringen Unterschiede, dass die Spielreihenfolge nicht ausschlaggebend für das Ergebnis ist und die Abweichungen zufällig aufgetreten. Simon Amez, Hauptautor der Studie erklärt, dass „ein eventueller Heimvorteil im Rückspiel durch andere Faktoren wieder zunichte gemacht wird.“ Dazu zählt beispielsweise eine aggressivere Spielweise, die ein schlechtes Ergebnis im Hinspiel ausgleichen soll aber dadurch dem Gegner auch mehr Chancen für Tore ermöglicht.
Eine wesentlich umfangreichere Studie, die 2014 im Fachmagazin International Journal of Sport and Exercise Psychology publiziert wurde, widerspricht den Ergebnissen. Anhand von 170.000 Spielen aus 157 Fußball-Ligen, bei denen die Wissenschaftler anhand der Gesamtpunkte die bei Heimspielen erreicht wurden untersucht haben ob ein Heimvorteil vorhanden ist, belegt diesen in einigen Ligen deutlich.
In der deutschen Bundesliga wurden im Untersuchungszeitraum etwa 60 Prozent der Punkte bei Heimspielen erreicht, in Ghana, Indonesien, Bolivien und Algerien waren es zwischen 70 und 80 Prozent und in Nigeria wurden sogar 87 Prozent der Punkte vor heimischen Publikum erreicht. Einige Staaten wie Uruguay, in dem nur 53 Prozent der Punkte im eigenen Stadion erzielt wurden, zeigen wiederum keinen klaren Heimvorteilt. Auch in Malta, Luxemburg und Irland sowie weiteren kleinen Staaten ist kein Heimvorteil zu erkennen. Die Wissenschaftler schließen daraus, dass die besseren Ergebnisse nicht auf die anwesenden Fans zurückzuführen sind, sondern bei großen Staaten vor allen durch die lange Anreise der Gegenmannschaft verursacht werden.
Laut den Autoren der aktuellen Studie zeigte eine Veröffentlichung des wissenschaftlichen Journal of Sports Sciences aus dem Jahr 2007 bereits einen immer geringer werdenden Einfluss des Heimvorteils. Ursächlich dafür ist die zunehmende Professionalisierung im Profi-Sport, die unteranderem dafür sorgt, dass Spieler von Psychologen betreut werden, um so äußere Einflüsse wie zum Beispiel eine überwiegende Anwesenheit von Fans der Gegenmannschaft abschwächen soll.
Außerdem gibt es Unterschiede zwischen Liga- und Turnierspielen, da in den meisten Fällen ein einzelnes Ligaspiel keinen signifikanten Einfluss auf das Abschneiden am Ende der Saison hat, während eine Niederlange in einem Turnier das sofortige Ausscheiden bedeutet und somit eine deutlich höhere Drucksituation aufbaut.