Robert Klatt
Freiheitsentzug reduziert die Rückfallquote bei Gewaltverbrechern kaum. Wissenschaftlern fordern deshalb alternative Maßnahmen zur Gewaltprävention.
Berkeley (U.S.A.). Gefängnisstrafen sollen nach Möglichkeit den Täter bessern oder ihn zumindest davon abschrecken weitere Verbrechen durchzuführen. Laut David Harding von der University of California in Berkeley „sind die Auswirkungen von Gefängnisstrafen auf künftige Gewaltverbrechen aber kaum bekannt, obwohl Inhaftierungen seit den 70er-Jahren dramatisch zugenommen haben.“
Gefängnisstrafen erfüllen laut den Studienautoren eines ihrer Hauptziele, die Gewalt in der Bevölkerung zu minimieren deshalb kaum. Eigentlich sieht die Strafzwecktheorie drei Möglichkeiten, um durch eine Gefängnisstrafe erneute Gewaltverbrechen zu verhindern.
Resozialisierung: Therapeutische Maßnahmen und eine Widereingliederung in die Gesellschaft sollen dem Täter dabei helfen psychologischen Prozesse zu verarbeiten und dadurch weitere Gewaltverbrechen verhindern.
Abschreckung: Die Angst vor einer weiteren Gefängnisstrafe soll dazu führen, dass der Täter als Selbstschutz keine weiteren Gewaltverbrechen verübt.
Handlungsunfähigkeit: Der Gefängnisaufenthalt verhindert, dass der Täter während dieses Zeitraumes neue Verbrechen in der Zivilgesellschaft begeht.
Das Team um Harding hat deshalb anhand von mehr als 110.000 Fällen aus dem US-Bundesstaat Michigan analysiert, ob die verhängte Strafe bei Gewaltverbrechen die Rückfallquote beeinflusst. Ausgewertet wurden ausschließlich Fälle, in denen auch eine Bewährungsstrafe möglich gewesen wäre. Entsprechend verurteilte Täter dienten der Studie als Kontrollgruppe.
Laut der im Fachmagazin Nature Human Behaviour publizierten fanden die Wissenschaftler dabei raus, dass ein Gefängnisaufenthalt die Ruckfallquote gegenüber eine Bewährungsstrafe nur minimal reduziert. Die durch Gefängnisaufenthalte reduzierten Gewaltverbrechen haben deshalb auf die etwa 195.000 jährlich in Michigan verübten Gewaltverbrechen nur einen Effekt von 0,7 Prozent.
Laut Harding „deuten die Ergebnisse darauf hin, dass die Inhaftierung von weniger Menschen wegen gewalttätiger Straftaten an der Grenze zwischen Gefängnis und Bewährung relativ geringe Auswirkungen auf die Gewalt in der Gesellschaft hat.“ Die Wissenschaftler empfehlen deshalb alternative Maßnahmen zur Gewaltprävention, die einen höheren sozialen Nutzen haben und die hohen wirtschaftlichen Kosten einer Gefängnisstrafe verhindern.
Thomas Bliesener, Direktor des Kriminologisches Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) in Hannover lobt in einem Gastkommentar die Studie aufgrund ihrer hohen statistischen Aussagekraft. Dabei erklärt der Wissenschaftler, dass „die Untersuchung allerdings nicht ausschließen kann, dass nicht betrachtete Aspekte für die Strafzumessung und den Rückfall eine Rolle spielen, etwa, ob die Person in einer Partnerschaft lebt oder einen Job hat.“
Überdies erklärt Bliesener, dass der Strafvollzug in den U.S.A. deutlich restriktiver ist als in Deutschland. Durch einen stärkeren Fokus auf die Resozialisierung und eine Begleitung durch Sozialmaßnahmen auch nach der Haft sind die Ergebnisse deshalb nicht eins zu eines auf Deutschland übertragbar.
Nature Human Behaviour, doi: 10.1038/s41562-019-0604-8