Robert Klatt
Kritzeleien gelten oft als Indiz für Langeweile und Unaufmerksamkeit. Laut Studien helfen sie aber dem Gedächtnis dabei, Informationen zu speichern.
Plymouth (England). Unbewusstes Zeichnen mit dem Stift in Meetings, beim Telefonieren oder im Unterricht kommt bei vielen Personen regelmäßig vor. Dieses Verhalten wird von anderen Menschen oft als Indiz für Langeweile und Unaufmerksamkeit interpretiert. Inzwischen hat die Forschung jedoch belegt, dass Kritzeleien als Denkwerkzeug das Gedächtnis unterstützen können.
Definiert sind Kritzeleien, die auch als Doodles bezeichnet werden, als spontane Zeichen. Sie können viele Formen haben und umfassen Landschaften, Menschen, Gesichter, aber auch abstrakte Muster und geometrische Figuren. Eine Bedeutungsabsicht müssen Doodles laut dem Kunstpsychologen Georg Franzen nicht haben.
„Kritzelzeichnungen werden ohne Bedeutungsabsicht und ohne technische Fertigkeiten gefertigt, sie entstehen, während der Verfasser einer anderen Tätigkeit nachgeht, sie sind nur teilbewusst. Kritzelzeichnungen sind ein spontaner, grafischer Ausdruck von Gefühlsqualitäten.“
Die Effekte der spontanen Kritzeleien hat die Wissenschaftlerin Jackie Andrade von der University of Plymouth untersucht. Laut der im Fachmagazin Applied Cognitive Psychology publizierten Studie führte sie dazu ein Experiment mit 40 Probanden durch. Diese mussten ein langweiliges Telefongespräch verfolgen, in dem besprochen wurde, welche Personen zu einer Veranstaltung kommen.
Eine zufällig ausgewählte Hälfte der Probanden durfte dabei herumkritzeln. Die anderen Probanden hatten keine Möglichkeit dazu, Notizen oder Grafiken anzufertigen. Anschließend wurde untersucht, ob sich die Probanden daran erinnern können, welche Personen zu- oder abgesagt hatten.
Laut Andrade konnten die Probanden, die während des Telefonats Doodles erstellten, im Mittel 29 Prozent mehr Informationen abspeichern. Diese Studie ist somit ein Beleg dafür, dass das unbewusste Zeichnen dem Gedächtnis dabei hilft, Informationen zu sichern.
Auch die Autorin und Gründerin von Sunni Brown Ink, einer Unternehmensberatung zum visuellen Denken, Sunni Brown, die für ihre Vermarktung von Kritzeleien bekannt ist, erklärt, dass diese spontane Visualisierungstechnik bei hoher Informationsdichte helfen kann.
„Doodle war nie der Erzfeind der intellektuellen Denkweise. In Wirklichkeit ist es eines ihrer größten Verbündeten.“
Wissenschaftlich erklärt werden kann die bessere Gedächtnisleistung dadurch, dass das menschliche Gehirn etwa 75 Prozent aller Informationen visuell verarbeitet. Lediglich die verbleibenden 25 Prozent verarbeitet der Mensch verbal. Liegen Informationen also ausschließlich mündlich oder schriftlich vor, kann es passieren, dass der interne Informationsfluss ins Stocken gerät.
Der visuelle Informationsfluss wird hingegen nicht beansprucht und hat deshalb noch Kapazitäten für die Informationsverarbeitung. Doodles führen dazu, dass sowohl die visuelle als auch die verbale Informationsverarbeitung parallel angesprochen werden können und verbessern somit die Erinnerungsleistung des Gedächtnisses.
Die kognitive Leistung des Menschen, also etwa das Erinnern von Informationen oder das Lernen, nimmt durch unbewusste Kritzeleien also zu. Wie Franzen erklärt, ist dafür ein uraltes Prinzip verantwortlich.
„Das Zeichnen ist eine der typischen und kreativen Betätigungen des Menschen. Man kann davon ausgehen, dass schon die Frühformen des Homo Sapiens sich mit einfachsten Mitteln, einem Stock oder Knochen, ausgedrückt haben. Kritzeleien, ob gedeutet oder nicht, sind grundsätzlich eine Möglichkeit, sich zu entlasten und aufgestaute Spannung abzuführen oder in ein kreatives "flow" zu gelangen.“
Das spontanen Doodles helfen dem Menschen also dabei, eine weitere psychologische Dimension zu nutzen, um die Fähigkeiten ihres Denkorgans besser nutzen zu können.
Applied Cognitive Psychology, doi: 10.1002/acp.1561