D. Lenz
Eltern und Forscher stellen fest, dass immer mehr Babys die Realität mit Touchdisyplays von Handys und Tablet-Computern verwechseln. Dies zeigt sich in den typischen Fingerbewegungen, die Babys versuchen in der realen Welt anzuwenden und zu blättern, Objekte zu vergrößern oder um diese zu berühren.
Zürich (Schweiz). Ein kleiner zweijähriger Junge steht im Zoo vor der Aquariumscheibe und beobachtet die vorbeischwimmenden bunten Fische. Plötzlich streckt der kleine Junge seine Arme aus und bewegt seinen Zeigefinger und den Daumen entlang voneinander weg – so als ob er auf einem Tablet ein Bild heranzoomen möchte. Verzweifelt versucht er die bunten Fische zu vergrößern, doch sie kommen nicht näher.
Dieses fiktive Beispiel ist aber vielen Eltern bereits vertraut und nun sind auch Forscher alarmiert. Immer mehr Babys bzw. kleine Kinder verwechseln die Realität mit der bunten Welt der Displays von Handys und Tablet-Computern.
Obwohl der kleine Junge mit den Fischen im Aquarium ein Misserfolg hatte, wendet er dieselbe Taktik in vielen Bereichen des realen Lebens an. Zu Hause vor dem Fernseher versucht er seine Lieblingszeichentrickfigur zu vergrößern. In Zeitschriften versucht er durch Wischbewegungen auf die nächste Seite zu blättern bzw. weiteren Inhalt durch scrollen sichtbar zu machen.
Der kleine Junge ist leider kein reines fiktives Beispiel, denn immer mehr Eltern beobachten dieses Verhalten bei ihren Babys, die anscheinend die reale Welt nicht mehr von den Touchdisplays auseinander halten können. Auf der Videoseite YouTube sind zahlreiche Clips zu sehen, wo Babys und Kleinkinder ihr Glück mit der Fingerbewegung in der Realität versuchen.
Dieses Verhalten erstaunt Thomas Merz, Professor für Medienpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Thurgau nicht: „Die Funktionen bei Touchscreens sind ja ganz bewusst den typischen Bewegungsmustern in der physikalischen Welt nachgebildet.“ Dass Babys ihre Erfolgserlebnisse, die sie beim Bedienen von Smartphones und Tablets erfahren, auch in der Realität anwenden, ist nachvollziehbar.
Was sich aber tatsächlich im Gehirn der Babys abspielt, wenn sie in der Realität die Touchscreen-Bewegungen imitieren, ist bisher noch nicht erforscht. Die Entwicklungspsychologin Miriam Beisert arbeitet in der Abteilung Säuglings- und Kindesalter am Psychologischen Institut der Universität Zürich und startet derzeit ein Forschungsprojekt zu den Unterschieden zwischen frühkindlichem Handeln in der realen Welt und Handeln auf dem Tablet. „Bisher gibt es meines Wissens tatsächlich noch keine Forschungsergebnisse zu den Auswirkungen eines häufigen Smartphone-Gebrauchs bei kleinen Kindern“, erläutert Beisert.
Logisch sei, dass die direkten Berührungen von Elementen auf einem Touchdisplay, ganz im Gegensatz zu dem Hantieren mit einer Computermaus, ganz der kindlichen Art und Weise, die Welt zu entdecken, entspreche. „Um neue Dinge zu erkunden und zu verstehen, möchten Kleinkinder sie direkt anfassen“, erklärt Beisert. Wenn auf die Berührungen beim Touchdisplay direkt ein interessanter Effekt, also eine lustige Bewegung, oft gekoppelt mit tollen Geräuschen, folgt, dann weckt dies als eine Art Belohnung zusätzliches Interesse bei den Babys.
Wenn kleine Kinder häufig das Smartphone oder das Tablet nutzen, sehen die Forscher einen Nachteil in der reduzierten Sinneserfahrung. „Wenn ein einzelner Finger auf eine glatte Oberfläche trifft, ist die Sinneserfahrung recht armselig im Vergleich zur Vielzahl der Möglichkeiten beim Berühren von Dingen in der realen Welt.“
Auch Professor Merz weist auf diesen Umstand hin: „Gerade weil Medien heute eine derart große Rolle spielen, ist es für kleine Kinder besonders wichtig, dass sie die Welt mit ihren eigenen Sinnen erfahren.“ Dazu gehören das Spielen im Sand und im Wald, der Umgang mit echten Bauklötzchen aus Holz und auch der Kontakt zu echten Tieren. Es sind diese Erfahrungen, die den Kindern die nötige Grundlage für eine gesunde Entwicklung geben.