Robert Klatt
Ketamininfusionen können akute suizidale Gedanken beseitigen. Besonders gut wirken Kurzinfusion mit der Droge bei Menschen mit einer bipolaren Störung.
Nîmes (Frankreich). Suizidale Gedanken sind psychiatrischer Notfall, der sich nur schwer behandeln lässt. Eine stationäre Unterbringung in einer Klinik lehnen viele Patienten ab. Auch Medikamente gegen Depressionen sind keine Lösung, weil die aktuell oft verwendeten Serotoninwiederaufnahmehemmer erst nach einigen Wochen ihre Wirkung entfallen und bei vielen Patienten der optimale Wirkstoff nicht direkt gefunden wird. Möglich ist bei suizidalem Gedanken zudem eine holistische Behandlung mit einer umfassenden psychosozialen Betreuung. Dafür fehlt aber häufig das Personal. Die Psychologie und Medizin suchen deshalb seit Langem nach weiteren Behandlungsmethoden.
Wissenschaftler um Fabrice Jollant vom Centre Hospitalier Universitaire in Nîmes untersuchten deshalb, ob eine Ketaminbehandlung die therapeutische Lücke schließen kann. Studien zeigten bereits, dass Kurzinfusion mit der Droge viele Patienten von depressiven Gedanken befreien können. Die Wirkung des dissoziativen Anästhetikums setzt schon nach wenigen Stunden ein und kann somit Selbsttötungen bei Menschen mit Suizidgedanken verhindern.
Laut ihrer Publikation im Fachmagazin BMJ verabreichten die Wissenschaftler 156 Probanden mit Suizidgedanken zusätzlich zu ihrer normalen Therapie zwei Kurzinfusionen mit Ketamin (0,5 mg/kg) oder Kochsalzlösung im Abstand von 24 Stunden. Das Ziel war am dritten Tag drei oder weniger von maximal 38 Punkten auf der Scale for Suicide Ideation (SSI) zu erreichen. Ein solcher Wert bedeutet, dass keine suizidalen Gedanken vorliegen.
Bei 46 der 83 Probanden (63 %) aus der Ketamingruppe kam es zu einer Remission der Suizidalität. In der Kontrollgruppe ging diese nur bei 25 von 73 Probanden (31,6 %) zurück. Auch bei den meisten sekundären Endpunkten erzielten die Ketamininfusionen eine gute Wirkung. Gefühle von Hoffnungslosigkeit, Depressionen und psychische Schmerzen verbesserten sich in der Ketamingruppe deutlich mehr als in der Kontrollgruppe.
Am stärksten sank die Suizidalität durch das Ketamin bei Patienten mit einer bipolaren Störung (84,6 %). Bei Patienten mit einer bipolaren Störung aus der Placebogruppe war eine Remission der Suizidalität deutlich seltener (28 %). Bei Patienten mit Majordepression kam es durch die Ketamininfusionen bei einem deutlich kleineren Teil (42,3 %) zu einer Remission der Suizidalität. Die Ergebnisse der Kontrollgruppe lagen bei dieser Erkrankung fast auf demselben Niveau (35,7 %).
Wie zuvor erwartet, hielt die Wirkung bei den Probanden aus der Ketamingruppe für mehrere Wochen an. Nach vier bis sechs Wochen waren aus der Ketamingruppe (65,9 %) und aus der Kontrollgruppe (56,3 %) jedoch ähnlich viele Patienten in Remission. Dies zeigt, dass die Ketaminbehandlung sich primär als Soforttherapie eignet. Um die suizidalen Gedanken heilen zu können, ist eine anschließende psychische oder medikamentöse Therapie jedoch weiterhin nötig.
Außerdem zeigt die Studie, dass auch Ketamin Suizidversuche nicht vollständig verhindern kann. Während der Studie versuchten aus der Ketamingruppe sechs Probanden (8,2 %) ihr Leben zu beenden. In der Kontrollgruppe kam es ebenfalls zu Suizidversuchen (9,8 %). Der einzige vollendete Suizid stammt aus der Ketamingruppe.
BMJ, doi: 10.1136/bmj-2021-067194