Robert Klatt
In Deutschland erhalten Kinder mit Übergewicht bei identischer Leistung schlechtere Schulnoten.
Worms (Deutschland). Eine Untersuchung der Sozialwissenschaftlerinnen Mona Dian von der Hochschule Worms und Moris Triventi von der Universität Trento in Italien zeigt, dass Kinder mit Übergewicht in Deutschland mehr schlechte und weniger gute Schulnoten als Kinder mit Normal- und Untergewicht erhalten. Analysiert wurden für die im Fachmagazin PLOS ONE publizierte Studie die Schulnoten in Deutsch und Mathematik von 3.700 Siebtklässlern an deutschen Gymnasien.
Im Rahmen des Nationalen Bildungspanels (NEPS) wurde anhand von Deutsch- und Mathetests außerdem die Leistung der Kinder erfasst, um zu untersuchen, ob die Probanden mit Übergewicht tatsächlich schlechtere Leistungen bringen als normal- und untergewichtige Kinder. Weitere Einflussfaktoren wie die Zeit, die die Kinder täglich mit ihren Hausaufgaben verbringen, der sozioökonomische Status und Bildungsstand der Eltern sowie die Muttersprache der Kinder und ihre Einstellung und Gewissenhaftigkeit zum Lernen wurden ebenfalls einbezogen.
Die Auswertung zeigt, dass übergewichtige Kinder im Vergleich zu normalgewichtigen Kindern schlechtere Noten erhalten, auch wenn sie sich in den untersuchten Punkten nicht signifikant voneinander unterschieden. Am deutlichsten wird dies bei übergewichtigen und adipösen Jungen, die im Fach Deutsch 11 Prozent häufiger eine schlechte Note (Vier oder schlechter) erhalten. Eine Eins erhalten sie hingegen 4 Prozent seltener, eine Zwei 13 Prozent seltener.
Weil in Mathematik der Raum für subjektive Benotungen deutlich geringer, fiel der Malus in diesem Fach kleiner aus. Bei Mädchen konnte ein Zusammenhang aus Übergewicht und erhaltener Noten weder in Deutsch noch in Mathematik festgestellt werden. Laut Mona Dian „werden Mädchen für Übergewicht oder Adipositas nicht mit schlechteren Noten bestraft.“
Verantwortlich für die schlechteren Schulnoten der übergewichtigen Schüler ist laut den Sozialwissenschaftlerinnen, dass Jungen bei vielen Lehrern ohnehin als weniger fleißig gelten. Dies wird durch das Übergewicht verstärkt, das von vielen Menschen mit geringer Disziplin assoziiert wird. Bei übergewichtigen Mädchen gleichen sich die Stereotype hingegen aus, weil diese allgemein als fleißiger in der Schule gelten.
Laut den Autoren können für die schlechteren Noten der übergewichtigen Schüler aber noch weitere Faktoren verantwortlich sein, die im Rahmen der Studie nicht untersucht wurden.
Auch ältere Studien haben bereits belegt, dass Schüler mit Übergewicht im Mittel schlechtere Noten erhalten. In einer Studie aus den U.S.A. (British Journal of Education Psychology) haben Lehrer den Aufsatz einer Schülerin schlechter bewertet, wenn ein dazugehöriges Foto so manipuliert wurde, dass die Schülerin übergewichtig aussah. Eine weitere Studie aus den U.S.A. (Sociology of Education) belegt, dass Schülerinnen mit Übergewicht in Englischunterricht schlechter bewertet werden.
Weil auch in Deutschland der Effekt substanziell ist, fordern die Autorinnen der Studie die Schaffung neuer Kriterien bei der Notenvergabe, die eine objektivere Bewertung sicherstellen sollen. Dies könnten zum Beispiel Klassenarbeiten sein, auf denen statt eines Namens nur ein Code steht. Dies würde auch anderen diskriminierten Minderheiten zu gerechteren Noten verhelfen.
PLOS ONE, doi: 10.1371/journal.pone.0245972
British Journal of Education Psychology, doi: 10.1111/bjep.12322
Sociology of Education, doi: 10.1177/0038040716680271