Robert Klatt
Eine zehnjährige Langzeitstudie belegt, dass zwischen der in Videospielen konsumierten Gewalt und aggressiven Verhalten in der Realität keine Korrelation besteht.
Idaho (U.S.A.). Medien und die Politik sehen gewalthaltige Computerspiele bei Gewaltverbrechen junger Menschen häufig als einen der Hauptgründe. Eine Studie der Psychologin Laura Stockdale von der Loyola University Chicago und der Medien- und Familienforscherin Sarah Coyne von der Brigham Young University in Idaho, die im Fachmagazin Cyberpsychology publiziert wurde, zeigt nun, dass Kinder und Jugendliche durch Gewalt in Computerspielen nicht aggressiver werden.
Für die Studie mit dem Titel „Aufwachsen mit Grand Theft Auto (GTA)“ unterteilten die Wissenschaftler ihre Probanden anhand ihrer unterschiedlichen Einstellungen gegenüber Videospielen in drei Gruppen. Die erste Probandengruppe (4 %) konsumierte bereits seit einem jungen Alter gewalthaltige Videospiele und besitzt laut eigener Aussage ein Faible für hohe Gewalt, die zweite Gruppe (23 %) hat eine moderate Leidenschaft für gewalthaltige Titel wie GTA und die übrigen Probanden (73 %) bevorzugen Computerspiele mit geringer oder keiner Gewalt.
Bewertet wurde die Gewalt in Videospielen von den Wissenschaftlern anhand der Kriterien der US-Organisation Common Sense Media, die vergleichbar mit der deutschen Selbstkontrollinstanz für Unterhaltungssoftware (USK) arbeitet. Die Probanden bewerteten die Gewalt anhand eines Fragebogens zu Verhaltensmerkmale wie Aggression, depressiven Symptomen und Angstzuständen.
In der Langzeitstudie wurden die Probanden, die zu Studienbeginn zwischen zehn und 23 Jahren alt waren, für einen Gesamtzeitraum von zehn Jahren beobachtet. Rekrutiert wurden die teilnehmenden Familien 2007 über Telefonverzeichnisse und Fragebögen. Die Probanden aus einer „großen nordwestlichen Stadt“ der U.S.A. waren zu 65 Prozent weiß, 12 Prozent schwarz, 19 Prozent multiethnisch sowie vier Prozent Angehörige anderer Ethnien. Probanden aus Haushalten mit einem niedrigeren sozioökonomischen Status waren unterrepräsentiert.
Im Gegensatz zu üblichen Medienwirkungsuntersuchungen, bei denen in der Regel Eigenschaften und Variablen in der Einzelbetrachtung analysiert werden, nutzten die Wissenschaftler für die Studie einen personenzentrierten Forschungsansatz. Dabei werden mithilfe von Algorithmen mehrere Variablen miteinander gruppiert. Die Forschung geht davon aus, dass so detaillierte erkannt werden kann, wie sich veränderliche Größen auf unterschiedliche Individuen auswirken.
Umgesetzt wurde der personenzentrierten Ansatz in der Studie unter anderem dadurch, dass Teilnehmer, „die ähnlich sind und eine Reihe von Merkmalen teilen, die im Laufe der Zeit gleichermaßen variieren“ einer gemeinsamen Gruppe zugeordnet wurden.
Insgesamt zeigen die Studienergebnisse, dass Gewalt in Videospielen zu keiner Änderung des prosozialen Verhaltens führt. Auch Personen, die während ihrer gesamten Kindheit und Teenagerzeit gewalthaltigen Computerspiele in einem hohen Ausmaß konsumieren, müssen laut den Wissenschaftlern deshalb nicht mit schädlichen psychologischen Folgen wie einer höheren Aggressivität rechnen.
Die Ergebnisse der Langzeitstudie bestätigen somit die Ergebnisse einer 2018 vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) im Fachmagazin Molecular Psychiatry veröffentlichten Studie, die ebenfalls zum Ergebnis kam, das Gewalt in Videospielen ihren Konsumenten nicht beeinflusst.
Cyberpsychology, doi: 10.1089/cyber.2020.0049
Molecular Psychiatry, doi: 10.1038/s41380-018-0031-7