Robert Klatt
Gesundheitsdaten von über 150.000 Menschen zeigen, welche Persönlichkeitstypen ein hohes subjektives Stressempfinden haben und bei wem körperliche Reaktionen auf Stress besonders stark sind.
Chicago (U.S.A.). Übermäßige Belastungen in der Arbeitswelt und im privaten Bereich, sowie eigene übertriebene Erwartungen an sich selbst, sind häufig Auslöser für Stress. Ein gelegentlich auftretendes Stresslevel ist normal. Doch eine fortwährende, übermäßige Beanspruchung kann sich laut dem Gesundheitsmagazin der AOK und der Diplom-Psychologin Bettina Löhr negativ auf die Lebensqualität auswirken und sogar zu gesundheitlichen Problemen führen.
„Eine Prise Stress kann uns also zu Höchstleistungen verleiten, macht uns im ersten Moment belastbarer und schützt uns außerdem vor Erkrankungen, weil das Immunsystem hochfährt. Andauernder Stress konfrontiert unseren Körper aber ständig mit Stresshormonen – der sogenannte „Kampf- oder Flucht-Modus“ kann dadurch krank machen.“
Forscher der Northwestern University (NU) um Jing Luo haben nun anhand einer Metanalyse, die Daten von rund 250 Stunden nutzt, untersucht, welche Persönlichkeitstypen besonders anfällig für Stress sind.
Laut ihrer Publikation im Fachmagazin Personality and Social Psychology Review umfasst die Metastudie Gesundheitsdaten von über 150.000 Menschen im Alter von 10 bis 79 Jahren. Die Autoren differenzieren drei unterschiedliche Auswirkungen von Stress, nämlich die messbaren körperlichen Reaktionen, das subjektive Empfinden der Menschen und die Stress auslösende Situationen (Stressoren).
Die verwendeten Studien haben zudem mit einem standardisierten Fragebogen die fünf großen Persönlichkeitsdimensionen der Probanden erfasst. Die in der Psychologie als Big Five bekannten Merkmale umfassen die Labilität (Neurotizismus), Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Offenheit für neue Erfahrungen.
Die Daten offenbaren, dass vor allem emotional labile Menschen, mit Neigung zu negativen emotionalen Reaktionen, ein hohes subjektives Stresserleben haben. Zudem beeinflusst dieser Persönlichkeitstyp auch die Stressoren, weil labile Menschen oft selbst Umgebungen auswählen, die bei ihnen Stress verursachen.
Besonders extravertierte Menschen, die aktiv, gesellig und selbstbewusst sind, haben ein deutlich geringeres subjektives Stresserleben und leichtere körperliche Stressreaktionen. Die Stressbewältigung und Stressprävention wurden durch Charaktereigenschaften wie Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit signifikant unterstützt. Es ist nachvollziehbar, da verträgliche Individuen sich durch Freundlichkeit und Kooperationsbereitschaft auszeichnen und gewissenhafte Personen durch ihre organisierten und verlässlichen Verhaltensweisen hervorstechen, also Aspekte, die das Auftreten zahlreicher Stresssituationen wirksam reduzieren.
Die Analyse der fünften Persönlichkeitsdimension, die Offenheit für neue Erfahrungen, gestaltete sich deutlich schwieriger. Diese Dimension, gekennzeichnet durch Eigenschaften wie Kreativität, ästhetische und intellektuelle Interessen, stellt einen Gegensatz zu traditionellem und konservativem Denken dar. Die Untersuchung ergab, dass Individuen mit einer hohen Offenheit zwar geringere körperliche Stressreaktionen aufwiesen, jedoch subjektiv mehr Stress wahrnahmen. Daher können diese Menschen als körperlich stressresistent eingestuft werden, obwohl sie sich subjektiv als eher stressanfällig empfinden.
Insgesamt ist die Verbindung zwischen Stress und Persönlichkeitsmerkmalen laut der Studie eher gering und präsentierte sich mehr im persönlichen Umfeld als im beruflichen Kontext. Es scheint, dass Stress in seiner vielschichtigen Natur von zahlreichen weiteren Faktoren beeinflusst wird, die durch die Big Five Persönlichkeitsdimensionen nicht abgedeckt werden.
Personality and Social Psychology Review, doi: 10.1177/108886832211040