Robert Klatt
Beim Onlinedating suchen Männer und Frauen oft Partner „außerhalb ihrer Liga“. Die Hauptgründe dafür sind, dass sich eine potenzielle Ablehnung online weniger schlimm anfühlt und dass beim Onlinedating deutlich mehr Kontaktversuche möglich sind.
Ann Arbor (U.S.A.). Viele Menschen lernen ihren Partner nicht mehr nur über Freunde, Hobbies oder während der Arbeit kennen, sondern nutzen dafür auch das Internet. In Deutschland hat laut einer Studie des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V. (Bitkom) bereits vor der Covid-19-Pandemie fast ein Drittel (30 %) aller Personen ab 16 Jahren Onlinedating schon mindestens einmal genutzt. Während der Lockdowns, der Kontaktbeschränkungen und der geschlossenen Cafés, Restaurants und Clubs hat die Beliebtheit von Portalen wie elFlirt.de weiter zugenommen.
Welche Strategien heterosexuelle Menschen bei der Partnersuche im Internet verwenden, haben die Soziologin Elizabeth Bruch und der Physiker Mark Newman von der Universität Michigan genau untersucht. Dabei fanden sie heraus, dass beim Onlinedating ein Großteil der Menschen nach Partnern sucht, die deutlich attraktiver sind als sie selbst.
Laut ihrer Publikation im Fachmagazin Science Advances entwickelten die Wissenschaftler für ihre Studie einen Bewertungsmechanismus für Attraktivität. Dieser basiert auf der Anzahl der Nachrichten, die ein Nutzer aufgrund seines Profils erhält. „Wenn man von jemandem kontaktiert wird, der attraktiv ist, dann ist man vermutlich auch selbst attraktiver“, erklären die Autoren.
„Anstatt uns auf Schätzungen zu verlassen, um herauszufinden, was Menschen anziehend finden, erlaubt uns dieser Ansatz, Attraktivität danach zu messen, wer die meiste Aufmerksamkeit von wem bekommt“, erklärt Newman. Schlussendlich konnten Sie so eine Attraktivitätshierarchie von Nutzern einer Onlinedatingplattform erstellen. Es handelt sich laut den Entwicklern des Bewertungsmechanismus dabei um den ersten dieser Art. In einem Gastkommentar bestätigt dies auch Christiane Eichenberg, eine Psychologin von der Sigmund Freud Privatuniversität Wien, die den Forschungsansatz als „interessant“ bezeichnet.
Im Mittel kontaktieren Menschen beim Onlinedating laut der Analyse Partner, die laut des Bewertungsmechanismus ein Viertel (25 %) attraktiver sind als sie selbst. Dies liegt wie Eichenberg erklärt, an den Vorteilen des Internets. „Anscheinend haben die Suchenden weniger Scheu, da die Kränkung einer potenziellen Ablehnung online weniger drastisch ist, als sie es in einer Situation von Angesicht zu Angesicht wäre“, so die Soziologin.
„Wieso sollte man es dann nicht mit dem ‚Besten’ versuchen, gerade wenn die Kosten etwa in Form des Kränkungspotenzials so gering sind“, konstatiert Eichenberg. Hinzukommt das Empfinden, dass es beim Onlinedating ständig die Möglichkeit für neue Kontakte gibt.
Viele dieser Nachrichten als potenzielle Partner „außerhalb ihrer Liga“ bleiben laut der Analyse unbeantwortet. „Das ist eine häufige Beschwerde der Nutzer von Online-Dating-Seiten. Doch obwohl die Rücklaufquote niedrig ist, zeigt unsere Analyse, dass 21 Prozent der Menschen, die ein derartig ehrgeiziges Verhalten an den Tag legen, eine Antwort von jemandem bekommen, der attraktiver ist. Beharrlichkeit zahlt sich also aus“, erklärt Bruch.
Auf Basis der ohnehin erhobenen Daten ermittelten die Wissenschaftler überdies, dass bei Männern die Attraktivität bis zu einem Alter von 50 Jahren zunimmt. Ältere Männer können in der Attraktivitätshierarchie bis zu diesem Älter demnach eine höhere Position einnehmen als jüngere. Bei Frauen nimmt die Position in der jüngere hingegen im Alter von 18 bis 60 Jahren permanent ab.
Trotzdem sehen die Autoren gängige Klischees durch ihre Studie nicht bestätigt. „Es gibt eine große Heterogenität bei der Frage, wer für wen attraktiv ist. Unsere Werte spiegeln allgemeine Attraktivitätsskalen wider auf Grundlage der Vorlieben der Nutzer“, erklärt Bruch.
Die Wissenschaftler erklären überdies, dass das Attraktivitätslevel nur in der ersten Phase der Partnersuche entscheidend ist. Nachdem Erstkontakt nimmt hingegen die Bedeutung andere Faktoren wie einzigartige Charakterzüge zu. Das Kennenlernen beim Onlinedating verläuft, wie Eichenberg erklärt, also „von innen nach außen“.
Wenn das erste Foto passt, rückt die Attraktivität also in den Hintergrund und die Kommunikation wird wichtiger. „Doch spätestens beim ersten Treffen fallen diese Äußerlichkeiten wieder ins Gewicht und dann ist die Frage, ob die online aufgebaute Beziehung bis dahin schon so eine Intensität hat, dass die optische Attraktivität nicht mehr so wichtig ist“, so Eichenberg.
Weil die Vorstellungen von Partnerschaften stark kulturabhängig sind, ist unklar, ob die Studienergebnisse auch auf Deutschland übertragen werden können. Betrachtet wurden in der Studie ausschließlich Nutzer aus New York, Boston, Chicago und Seattle. Selbst zwischen Menschen, die in diesen Großstädten leben und Menschen, die in deren Nähe auf dem Land leben könnte es laut den Wissenschaftlern deutliche Unterschiede beim Onlinedating geben.
Science Advances, doi: 10.1126/sciadv.aap9815