Robert Klatt
Nationalismus in politischen Diskussionen aktiviert bei vielen Menschen latente nationalistische Ansichten. Dies wirkt sich auf das Wahlverhalten aus und hilft vor allem rechten Parteien.
Köln (Deutschland). Menschen, die besonders hohe Grenzen für die Zugehörigkeit zu einer Nation setzen, etwa, dass eine Person in dem Land geboren sein muss, haben laut verschiedenen Studien eine überdurchschnittlich nationalistische Einstellung und befürworten meistens eine strenge Einwanderungspolitik. Menschen mit dieser Einstellung wählen laut Antonia May vom GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften aber nicht immer rechte Parteien.
„Obwohl viele Menschen in Europa ein ausgrenzendes Verständnis von nationaler Identität haben, wählen in den meisten europäischen Ländern relativ wenige Menschen extrem rechte Parteien.“
May hat nun gemeinsam mit Christian Czymara von der Universität Tel Aviv im Fachmagazin Nations and Nationalism eine Studie publiziert, die untersucht hat, wie die Wahlentscheidungen durch nationalistische Tendenzen der jeweiligen Person und die Äußerungen von Parteien zu den Themen Nationalismus und Migration beeinflusst werden.
„Zu diesem Zweck haben wir Umfragedaten aus 26 Jahren von insgesamt 135.000 Befragten aus 26 europäischen Ländern analysiert und mit Wahlprogrammen abgeglichen.“
Die Analyse der Daten zeigt, dass eine Korrelation zwischen der nationalistischen Einstellung eines Menschen und rechtsextremen Wahlentscheidungen besteht. Dieser Zusammenhang ist aber deutlich schwächer, als die Autoren zuvor angenommen haben.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass mehr als die Hälfte der Befragten ausgrenzende Vorstellungen von Nationalität haben. Der Zusammenhang zwischen solchen Einstellungen und rechtsextremen Wahlentscheidungen ist allerdings schwächer, als man aufgrund der ideologischen Überschneidung annehmen könnte.“
Wenn Parteien aus der Mitte ebenfalls nationalistische Aussagen oder kritische Positionen gegenüber Multikulturalismus in ihre Wahlprogramme integrierten, wählen Personen mit nationalistischen Überzeugungen vermehrt rechtsextreme Parteien.
„Die ansonsten lockere Beziehung zwischen ausgrenzender Nationalidentität und rechten Wahlpräferenzen ist deutlich stärker in Zeiten, in denen über verschiedene Parteien hinweg mit ausgrenzender Rhetorik gearbeitet wird.“
Dieser Zusammenhang besteht auch, wenn zusätzliche Faktoren wie das Verhältnis von Geflüchteten zur Gesamtbevölkerung und die Arbeitslosenquote berücksichtigt werden. Obwohl diese Aspekte sowohl auf politische Diskussionen als auch auf Wählerentscheidungen einen hohen Einfluss haben, bleiben die festgestellten Tendenzen auch nach der Eliminierung dieser Faktoren bestehen.
Besonders deutlich werden die in der Studie entdeckten Zusammenhänge in Ungarn. Im Jahr 2018, als viele Flüchtlinge nach Ungarn kamen, rückte das Thema Nationalismus verstärkt in den Vordergrund der politischen Debatte. In dieser Zeit verzeichnete die rechtspopulistische Partei Fidesz, die seit 2010 in Ungarn an der Macht ist, einen Anstieg der Wählerstimmen.
Ähnliche Trends wurden, wenn auch in geringerem Ausmaß, in Ländern wie Dänemark und Lettland beobachtet. In Deutschland bemerkten die Forscher, dass mit der Flüchtlingskrise ab 2015 nationalistische Haltungen im politischen Diskurs zunahmen. Dies ging einher mit einem gestiegenen Zuspruch für die rechtspopulistische Partei Alternative für Deutschland (AfD).
Die Autoren gehen davon aus, dass die latenten nationalistischen Überzeugungen bei vielen Wählern durch politische Diskussionen aktiviert werden. Dadurch ändert sich wiederum das Wahlverhalten, wovon primär rechte Parteien profitieren.
„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass rechte Parteien von einem insgesamt ausgrenzenden politischen Klima profitieren, in dem nationale Grenzen auf der politischen Agenda stehen. Folglich scheint es, dass Parteien, die nicht rechtsextrem sind, sich wahrscheinlich selbst schaden, wenn sie eine solche Rhetorik verwenden.“
Nations and Nationalism, doi: 10.1111/nana.12985