D. Lenz
An über 1.000 Kindern aus verschiedenen Kulturkreisen haben Forscher nun nachgewiesen, dass religiös erzogene Kinder unsozialer sind als atheistisch erzogene Kinder. So teilen christlich und muslimisch erzogene Kinder seltener mit Altersgenossen, wollen im Gegenzug aber unsoziales Verhalten härter bestrafen. Je religiöser die Familien waren, desto ausgeprägter war dieses Verhalten zu beobachten.
Chicago (U.S.A.). Religionen gelten in der Regel als wichtige Leitfäden für Moral und sie sollen nach gängiger Annahme das Sozialverhalten fördern. „Diese Ansicht ist so tief verankert, dass Menschen, die nicht religiös sind, sogar in manchen Gesellschaften als moralisch suspekt gelten“, erläutert Jean Decety von der University of Chicago. Bisherige Studien haben gezeigt, dass die Strenge von Religionen extrem von gesellschaftlichen und ökologischen Faktoren abhängt und das moralisches Verhalten von Faktoren wie beispielsweise der Tageszeit, dem Stresspegel oder der Sprache beeinflusst wird.
Decety und seine Kollegen interessierte, ob eine religiöse Erziehung Kinder wirklich zu einem sozialeren und großzügigen Verhalten bewegt. Dazu führten Sie Spielexperimente an mehr als 1.100 Kindern zwischen fünf und zwölf Jahren durch. Die Kinder stammten aus den Ländern Kanada, den USA, Jordanien, der Türkei, China und Südafrika. Unter den Kindern waren etwa 40 Prozent Moslime, knapp 25 Prozent Christen und etwa 27 Prozent Atheisten. Juden, Hindus und Buddhisten machten die restlichen acht Prozent der Teilnehmer aus.
In einem ersten Spiel sollten die Kinder eigenständig entscheiden, wie viele Sticker sie mit einem ihnen unbekannten Kind mit demselben ethnisch-religiösen Hintergrund teilen wollten. Im zweiten Teil des Experiments sahen die Kinder einen kurzen Film, in dem ein Schauspieler einen anderen Schubste. Anschließen sollten die Kinder bewerten, ob die Handlung moralisch in Ordnung war oder nicht und wie der Schubser bestraft werden sollte.
Die Forscher stellten nach ihrer Auswertung überraschend fest, dass die großzügigsten und teilungsfreudigsten Kinder nicht die aus religiösen Familien, sondern Kinder aus atheistischen Familien waren. Am knickrigsten waren die Kinder der beiden großen Weltreligionen: Christen und Muslime. Zudem stellten die Forscher fest, je gläubiger ein Kind erzogen wurde, desto geiziger war es.
„Die Kinder, deren Familien den beiden großen Weltreligionen angehörten, waren eindeutig weniger altruistisch als Kinder aus nicht-religiösen Haushalten“, berichten die Forscher in der Fachzeitschrift Current Biology. Da der Tauschpartner des Kindes der gleichen Bevölkerungsgruppe angehörte, kann das geringe Sozialverhalten auch nicht durch Vorurteile gegenüber Andersgläubigen erklärt werden.
Das überraschende Studienergebnis zeigt sich auch in der Bewertung des moralischen Verhaltens aus dem Videofilm. Religiös erzogene Kinder fanden den Aggressor wesentlich gemeiner oder böser als ihre Altersgenossen aus atheistischen Familien. Gleichzeitig forderten vor allem die muslimischen Kinder eine deutlich härter Bestrafung des Täters.
„Frühere Studien haben schon gezeigt, dass religiöse Menschen keineswegs per se besser sind als ihre nichtreligiösen Gegenparts“, sagt Decety. „Wir gehen nun darüber hinaus und belegen, dass religiöse Menschen – und auch ihre Kinder – sogar weniger altruistisch sind.“ Die Sutdienergebnisse aus dem zweiten Teil des Experiments bestätigen zudem, religiöse Menschen intoleranter gegenüber anderen Menschen sind.