Robert Klatt
Menschen mit Adipositas leiden öfter unter psychischen Störungen als die Allgemeinbevölkerung. Eine Studie zeigt nun, dass Adipositas meistens die zuerst gestellte Diagnose ist und die psychischen Erkrankungen folgen.
Wien (Österreich). Menschen mit starkem Übergewicht (Adipositas) leiden öfter an psychischen Erkrankungen als die Allgemeinbevölkerung. Bisher konnte die Medizin aber noch nicht klären, ob erst die psychische Erkrankungen entstehen und daraufhin die Fettleibigkeit folgt oder ob die Menschen erst fettleibig werden und danach die psychischen Erkrankungen folgen.
Wissenschaftler der Medizinische Universität Wien (MedUni Wien) und des Complexity Science Hub (CSH) haben deshalb eine Studie durchgeführt, in deren Rahmen sie einen bevölkerungsweiten Datensatz aller stationären Krankenhausaufenthalte aus dem Zeitraum von 1997 bis 2014 analysiert haben. Laut ihrer Publikation im Fachmagazin Translational Psychiatry untersuchten sie dabei, die relativen Risiken von Begleiterkrankungen bei Adipositas und eventuelle Geschlechtsunterschiede.
Die Untersuchungsergebnisse der Forscher um Michael Leutner offenbarten, dass Adipositas die Wahrscheinlichkeit einer Vielzahl von psychischen Störungen in allen Altersbereichen deutlich steigert. Hierbei sind verschiedene Formen von psychischen Störungen, einschließlich Depressionen, Nikotinabhängigkeit, psychotischen Störungen, Angsterkrankungen sowie Essstörungen und Persönlichkeitsstörungen, betroffen.
„Diese Ergebnisse unterstreichen aus klinischer Sicht die Notwendigkeit, das Bewusstsein für psychiatrische Diagnosen bei adipösen Patient:innen zu schärfen und gegebenenfalls bereits in einer frühen Diagnosephase Spezialist:innen zu konsultieren.“
Laut Elma Dervic haben die Forscher für ihre Studie eine neue Methode entwickelt.
„Um herauszufinden, welche Krankheit typischerweise zuerst auftritt und welche erst danach, mussten wir eine neue Methode entwickeln. So konnten wir feststellen, ob es Trends und typische Muster im Auftreten von Krankheiten gibt.“
In allen Co-Diagnosen, mit Ausnahme des Bereichs der Psychosen, war Adipositas in der Regel die erste Diagnose, die gestellt wurde, bevor sich eine psychiatrische Erkrankung zeigte. Bis dato wurde von Medizinern häufig angenommen, dass psychopharmakologische Medikamente den Grund für den beobachteten Zusammenhang zwischen psychischen Störungen und Adipositas bzw. Diabetes darstellen. Laut Alexander Kautzky ist dies aber eher ein Ausnahme.
„Das mag für Schizophrenie zutreffen, wo wir die umgekehrte zeitliche Reihenfolge sehen, aber unsere Daten stützen dies nicht für Depressionen oder andere psychiatrische Diagnosen.“
Es bleibt jedoch noch ungeklärt, ob Adipositas einen direkten Einfluss auf die psychische Gesundheit hat, oder ob frühe Phasen psychiatrischer Erkrankungen möglicherweise ungenügend identifiziert werden.
Erstaunlicherweise entdeckten die Wissenschaftler bei den meisten Störungen signifikante Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Hierbei zeigten Frauen ein erhöhtes Risiko für sämtliche Störungen, abgesehen von Schizophrenie und Nikotinabhängigkeit. Es waren deutlich mehr adipöse Männer (16,7 %) nikotinabhängig als Frauen (8,5 %). Bei Depressionen ergab sich eine umgekehrte Situation. Die Häufigkeit diagnostizierter depressiver Episoden lag bei adipösen Frauen (13,3 %) wie bei nicht adipösen Frauen (4,8 %). Bei adipösen Männern war die Rate der Depressionen (6,6 %) etwa doppelt so wie bei normalgewichtigen Männern (3,2 %)
Translational Psychiatry, doi: 10.1038/s41398-023-02447-w