Robert Klatt
Traditionelle Therapien empfehlen Personen mit psychischen Problemen, negative Gedanken nicht zu unterdrücken. Eine neue Studie zeigt nun, dass das „Ausblenden“ problematischer Gedanken vielen Menschen helfen kann.
Cambridge (England). In den vergangenen Jahren haben Depressionen, Ängste, Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) und andere psychische Krankheiten global stark zugenommen. Studien zeigen, dass dafür sowohl die Lockdowns in der Covid-19-Pandemie als auch die zunehmende Nutzung sozialer Netzwerke mitverantwortlich sind. In traditionellen Therapieansätzen wird Personen mit derartigen Erkrankungen oft nahegelegt, ihre Befürchtungen und Ängste nicht zu unterdrücken, weil dies zu einer Verschlimmerung der Symptome führen könnte.
Eine Studie der University of Cambridge hat nun untersucht, ob das Unterdrücken negativer Gedanken sich tatsächlich negativ auf die psychische Gesundheit auswirkt. Dabei entdeckten sie, dass manche Formen der Gedankenunterdrückung bei psychisches Problemen helfen können.
Laut ihrer Publikation im Fachmagazin Science Advance haben Zulkayda Mamat und Michael C. Anderson Experimente mit 120 Probanden aus 16 verschiedenen Ländern, darunter auch Deutschland, durchgeführt. Die Probanden visualisierten dabei potenzielle Ereignisse der nächsten zwei Jahre.
Jeder Teilnehmer konnte 20 negative Vorfälle identifizieren, die Befürchtungen auslösten, wie den Verlust einer nahestehenden Person. Zudem listeten sie 20 positive Erwartungen sowie 36 neutrale alltägliche Szenen auf, wie das Trocknen von Kleidung. Für jede dieser Visualisierungen wählten die Studienteilnehmer ein entsprechendes Schlagwort, um das spezifische Szenario zu assoziieren.
Des Weiteren sollten die Teilnehmer jeden ihrer Gedanken hinsichtlich Faktoren wie dem Ausmaß ihrer Angst oder der Stärke ihrer Vorstellungskraft bewerten. Sie vervollständigten zudem Fragebögen zur Bewertung ihrer mentalen Verfassung. Ein Teil dieser Gruppe zeigte Anzeichen von ausgeprägten depressiven Zuständen, Angstsymptomen und posttraumatischem Stress in Verbindung mit der Pandemie.
Anschließend führten die Kognitionswissenschaftler Therapiesitzungen per Zoom durch, bei denen die Probanden in zwei Gruppen unterteilt waren. Eine Gruppe sollte lernen, negative Gedanken zurückzuhalten, während die andere sich darauf konzentrierte, neutrale Gedanken zu überwinden. Am Abschlusstag und nach drei Monaten wurde erfasst, inwiefern die Teilnehmer sich die verschiedenen Ereignisse noch detailreich vorstellen konnten und welche Emotionen diese hervorriefen. Überdies wurden sie zu ihrem psychischen Befinden befragt.
Die Ergebnisse zeigten, dass die Gedanken, die aktiv unterdrückt wurden, von den Probanden als weniger intensiv empfunden wurden. Dies traf auf beide Gruppen zu, wobei die Gruppe, die negative Gedanken unterdrückte, einen stärkeren Effekt verzeichnete. Sie gaben auch an, weniger negative Emotionen, Ängste und depressive Anzeichen zu verspüren.
Besonders stark profitieren vom Unterdrücken negativer Gedanken Probanden mit starken psychischen Problemen.
„Es gibt einige Sorgen, über die man versuchen sollte nachzudenken, sie zu verarbeiten und damit umzugehen. Aber es gibt auch andere Gedanken, gegen die man nichts tun kann, und die zu unterdrücken könnte helfen.“
Zudem führte die Unterdrückung der negativen Gedanken nicht zu einem sogenannten »Rebound«-Effekt. Lediglich eine von 120 Personen erinnerte sich nach der Schulung intensiver an die zurückgehaltenen Szenarien. Es könnte daher vorteilhaft sein, beängstigende Gedanken zu kontrollieren und zu unterdrücken.
Science Advance, doi: 10.1126/sciadv.adh5292