Vegetarismus

Vegetarier sind klug, sensibel aber oft ausgegrenzt

D. Lenz

Was unterscheidet Vegetarier aus psychologischer Sicht von Fleischessern? Erste Studien bringen Klarheit. )yabaxipnessE_muz_gnudalniE(Foto: © 

Jährlich nimmt die Zahl der Vegetarier in Deutschland zu. Wie sich jedoch diese Menschen aus psychologischer Sicht von anderen unterscheiden, wurde bisher nur sehr wenig erforscht. Aktuelle Studien zu diesem Thema geben nun einen interessanten Einblick in das Thema.

Berlin (Deutschland). Vegetarismus in Deutschland längst zum Trend geworden und im internationalen Vergleich leben in der Bundesrepublik überdurchschnittlich viele Vegetarier. Nach Angaben der Europäischen Vegetarier-Union sind es rund neun Prozent. In Israel sind es immerhin auch noch 8,5 Prozent und in Kanada acht Prozent. In den USA und Großbritannien hingegen nur noch drei Prozent und in Portugal gerade einmal 0,3 Prozent. Zudem kam bei einer Forsa-Umfrage heraus, dass sich in Deutschland fast zwei Drittel der Frauen und rund 40 Prozent der Männer als sogenannter Teilzeitvegetarier ansehen.

Anders als zum Thema, wie gut oder schlecht vegetarisches Essen ist, gibt es nur wenig Forscher, die sich aus Sicht der Psychologie mit dem Thema Vegetarismus beschäftigen. Umso interessanter sind die Ergebnisse dieser wenigen Studien. Demnach sind Vegetarier klug und sensibel, oftmals aber auch ausgegrenzt.

Vegetarismus – ein soziologisches Phänomen

„Lange Zeit hat man den Vegetarismus aus medizinisch hinterfragt und zahlreiche Studien erstellt, ob diese Ernährungsweise gesundheitliche Vor- oder Nachteile bietet“, erklärt Vorsitzender des ProVeg Deutschland e.V. Sebastian Zösch. Die gesundheitliche Frage ist mittlerweile geklärt: So haben Vegetarier seltener Übergewicht, ein signifikant geringeres Diabetes-Risiko und sterben auffällig seltener an Herz-Kreislauf-Erkrankungen. „Erst seitdem man sicher ist, dass vegetarische Ernährung viele Vorteile für die Gesundheit bietet, beginnt man langsam auch die psychologisch-kulturelle Komponente zu beachten“, sagt Zösch weiter.

Die Studien, die es bisher zu diesem Thema gibt, sind alle recht unvollständig und reißen manchmal die psychologisch-kulturelle Komponente nur an. In den USA wird Vegetarismus oftmals mit einer linksliberalen politischen Einstellung in Zusammenhang gebracht. Fleischesser sind demnach eher autoritären und hierarchisch geprägten Gesellschaftsstrukturen zugeneigt. Eine andere Studie, die im Jahr 2017 im British Medical Journal veröffentlich wurde, fand heraus, dass sich Kinder mit einem höheren IQ mit hoher Wahrscheinlichkeit als Erwachsener vegetarisch ernähren.

Die Wissenschaft weiß bisher nur sehr wenig über das emotionale Wohlbefinden sowie über andere psychologische Merkmale von Vegetariern. Das gesamte Forschungsfeld ist noch sehr lückenhaft, besonders was Daten zum Abschneiden von Vegetariern auf verschiedenen Messskalen angeht, mit denen zum Beispiel Neigungen zu Depressionen oder Angst erfasst werden können. Jedoch wären gerade solche Informationen für die Psychologie sowie die Medizin interessant. Die erste Studie zu diesem Themenfeld kommt aus Deutschland und wurde im Fachmagazin International Journal of Behavioral Nutrition and Physical Activity veröffentlicht. Es zeigte sich, dass Vegetarier häufig jung und weiblich waren. Sie lebten häufiger in größeren Städten und waren meist Single. Zudem hat ein großer Teil von ihnen das Abitur. Es zeigte sich aber auch, dass Vegetarier mit einer doppelt so hohen Wahrscheinlichkeit unter einer Angststörung leiden. Zudem war bei Vegetariern die Rate an Depressionen 15 Prozent höher als bei den Nicht-Vegetariern.

Studien werfen neue Fragen auf

Die Ergebnisse geben zwar erste Antworten auf die psychologischen Aspekte, werfen aber zugleich neue Fragen auf: Könnte eine vegetarische Ernährung zu psychischen Störungen führen? Abwegig sei dies laut Mediziner nicht, denn Vegetarier nehmen beispielsweise weniger Omega-3-Fettsäuren auf, was einen Einfluss auf den Gehirnstoffwechsel haben kann und die Vulnerabilität für psychische Erkrankungen erhöht. Jedoch muss dies erst noch genauer untersucht werden, da viele Probanden aus der Studie bereits vor ihrer vegetarischen Lebensweise psychische Erkrankungen aufwiesen. Auffällig sei aber der signifikante Unterschied zwischen Vegetariern und Fleischessern – wo da genau der Zusammenhang besteht, ist jedoch noch völlig unklar.

Eine Möglichkeit wäre, dass die psychische Erkrankung einen Mechanismus in Gang setzt, der dazu führt, dass der Betroffene seine Lebensgewohnheiten ändert um sich sozusagen selbst zu therapieren bzw. zu heilen. Weiter sei es denkbar, dass die negative Erfahrung mit einer psychischen Erkrankung Menschen empathischer macht. Sie verzichten also auf Fleisch, damit Tiere nicht sterben müssen. Bei Angststörungen könnte die vegetarische Ernährung auch ein unbewusster Schutzmechanismus sein, denn Fleisch steht oftmals im Zusammenhang mit Lebensmittelskandalen negativ in den Schlagzeilen. Aber auch eine dritte Variable wäre denkbar: Ein Auslöser, der die Wahrscheinlichkeit erhöht, sich vegetarisch ernähren zu wollen als auch an einer psychischen Störung zu erkranken. Dazu könnte beispielsweise eine größere emotionale Sensibilität beitragen, die bereits andere Studien mehrfach bestätigen konnten.

Zudem sollten bei zukünftigen Studien über Vegetarismus die jeweiligen Motive der Probanden berücksichtig werden. Ernähren sie sich aus ethischen, spirituellen oder gesundheitlichen Gründen vegetarisch?

Eine US-amerikanische Studie fand zudem heraus, dass Vegetarier wesentlich häufiger unter Essstörungen leiden. Im Fachblatt Journal of the Academy of Nutrition and Dietetics (Bd. 112, S. 1247, 2012) haben Forscher berichtet, dass klinische Erfahrungen belegen, dass essgestörte Patienten signifikant häufiger Vegetarier sind.

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