Dennis L.
Kleidung mit künstlichen Muskeln, welche Menschen mit Behinderungen im Alltag unterstützen – noch vor wenigen Jahren klang so etwas nach utopischer Zukunftsmusik. Doch nun hat die Textilforschung einen neuen Meilenstein erreicht und plötzlich erscheint dieses Ziel gar nicht mehr in so weiter Ferne. Welche Innovation haben die Wissenschaftler entwickelt und wie könnte gemäß des jetzigen Standes der Forschung die Zukunft von Kleidung und Textilien aussehen?
Bei den „künstlichen Muskeln“ handelt es sich genau genommen um Textilien, welche durch einen elektrischen Impuls bewusst verkürzt oder gestreckt werden können. Sie funktionieren demnach ähnlich wie ein Muskel und können bewegungseingeschränkten Menschen den Alltag erleichtern. In ihrer Veröffentlichung mit dem Titel „Knitting and weaving artificial muscles“ im „Science Advances“ stellten der schwedische Forscher Edwin Jager und sein Team ihre neuesten Erkenntnisse zu diesem Thema vor:
Solche intelligenten Textilien könnten demnach schon in absehbarer Zukunft realistisch sein, wenn sie sich an der Technologie elektronischer Prothesen oder an jener von Exoskeletten orientieren. Was es dafür braucht, ist ein Gewebe aus Zellulose, das mit elektroaktiven Polymeren beschichtet wird und somit eine leitfähige Schicht aus Polypyrrol enthält. Um welche Art von Fasern es sich bei dieser Zellulose handelt und wie diese verarbeitet wurde – beispielsweise gewebt oder gestrickt – spielt dabei keine Rolle. Es handelt sich also um klassische Textilien, wie sie schon seit langer Zeit im Einsatz sind.
Auch die elektroaktiven Polymere stellen eigentlich keine neue Erfindung dar. Sie werden bereits seit einigen Jahren sowohl in der Solarzellen- als auch in der Sensortechnik und Mikrobiologie eingesetzt. Das schwedische Forschungsteam musste das Rad also nicht gänzlich neu erfinden, sondern lediglich ihnen zur Verfügung stehende Technologien geschickt miteinander kombinieren. Innovationspotential bietet sich also verstärkt in der Verbindung unterschiedlicher Entwicklungen. Noch werden solche Textilien zwar nicht offiziell produziert, aber die Wissenschaftler machen schnelle Fortschritte.
Die Forschung von Edwin Jager stellt jedoch keinen Einzelfall in der Textilindustrie dar. Stattdessen gab es in den vergangenen Jahren immer wieder Durchbrüche im Bereich der „smarten“ Textilien. Wie bei den künstlichen Muskeln, handelt es sich dabei um spezielle Arten von Fasern oder Gewebe, die mehr leisten können als nur warm zu halten oder gut auszusehen. Die „schlauen Stoffe“ können beispielsweise Daten sammeln und auswerten, Energie speichern oder ihren Träger vor Krankheiten warnen. High-Tech hat Einzug gehalten in die Textilbranche und an Ideen mangelt es nicht:
Wie genau die Kleidung der Zukunft aussehen wird, bleibt also noch abzuwarten – denn nicht alle dieser Ideen sind zum jetzigen Stand der Technik umsetzbar.
Bei jenen High-Tech-Textilien, in welcher auf die oder andere Art und Weise Elektronik verbaut werden soll, stellt in vielen Fällen der Kontakt mit Wasser noch die größte Schwierigkeit dar. So gelang es Wissenschaftlern jüngst, eine spezielle Graphenschicht auf Kleidung anbringen, die gegen Mückenstiche schützt. Bei Nässe verliert diese aber ihre Wirksamkeit. Eine Lösung wurde noch nicht gefunden. Dabei handelt es sich nur um ein Beispiel von vielen: Der Baby-Strampler muss schließlich ebenso wie die Feuerwehrjacke oder andere innovative Erfindungen hin und wieder gewaschen werden. Wünschenswert wäre sogar das Waschen sowie Schleudern in der Maschine bei hohen Temperaturen.
Experimentiert wird für die Lösung dieses Problems derzeit mit der Einbettung der Elektronik direkt in das Gewebe. Dies erhöht die Flexibilität der Textilien und macht sie „biegeweich“, sprich sie können in der Waschmaschine verdreht, geschleudert, geknickt oder gebogen werden, ohne dadurch Schaden zu nehmen. An Problemen mangelt es zum jetzigen Stand der Textilforschung also zwar nicht, an Lösungsideen aber ebenso wenig. Auch hier dürfte daher in absehbarer Zeit ein Durchbruch zu erwarten sein.
Eine Aufgabe, welche die Wissenschaft nach wie vor beschäftigt: Die Reinigung von typischen Materialien, wie beispielsweise Leder, Tex, Leinen oder Synthetik einfacher zu machen. Das Waschen der Kleidung oder das Pflegen von Schuhen nimmt in unserem Alltag immer noch relativ viel Zeit in Anspruch. Hinzu kommt, dass jedes Material dabei anders behandelt werden muss.
Bisherige Ergebnisse basierten vor allem auf Verbesserungen der Oberflächenstruktur – etwa durch Übertragung des Lotus-Effektes auf die Materialien. Feuchtigkeit und Schmutz perlen dann davon ab, ohne tiefer einzudringen. Möglich ist dies unter anderem auch durch eine nachträgliche Beschichtung.
Ein anderer Ansatz, an dem aktuell geforscht wird, sind lichtaktive Textilien. Bisher konnten bestimmte Beschichtungen entwickelt werden, die unter Einfluss der UV-Strahlung des Lichts Mikroben abtöten und mit Hilfe zusätzlicher Nanopartikel sogar Flecken verschwinden lassen. Somit könnte das Waschen in Zukunft obsolet werden.
In sämtlichen Einsatzbereichen wie eben auch der Kleidung, werfen die innovativen Textilien derzeit die Frage nach dem Umweltschutz auf. Auch dazu gibt es aktuell zahlreiche neue Entwicklungen. Eine neue umweltfreundliche Lösung gibt es beispielsweise für die Abdichtung von Nähten. Sie kommt ohne die schädlichen poly- und perfluorierter Verbindungen (PFC) aus.
Für solche und ähnliche Ausrüstungen werden eigentlich unbedenkliche Ausgangsmaterialien mit chemischen Substanzen behandelt, die den ökologischen Fußabdruck des Endprodukts verschlechtern. Hier besteht ein großes Interesse an umweltfreundlicheren Alternativen.
Andere Entwicklungen orientieren sich ganz konkret an einer besseren Recyclingfähigkeit der Textilien oder nutzen gleich von Beginn an recycelte Ausgangsmaterialien. Die Jörg Lederer GmbH entwickelte ein elastisches Garn aus ausgedienten Fischernetzen und produziert daraus Strumpfhosen. Der Hersteller Trevira setzt wiederum auf Alternativen zu erdölbasierten Grundstoffen für die Textilproduktion. Aus nachwachsenden Rohstoffen wie Zuckerrohr oder Mais können ebenfalls Fasern gewonnen werden. Auch der Einsatz von Milchsäurepolymeren erhöht die biologische Abbaubarkeit der textilen Erzeugnisse.
Seit einiger Zeit ist zudem eine altbekannte Pflanze wieder im Kommen: die Brennnessel. Lange Zeit galt der Nesselstoff als grob und eignete sich nur bedingt für den Einsatz in der Bekleidungsindustrie. Auch hier konnte durch die technische Weiterentwicklung eine Verbesserung erzielt werden. Der größte Vorteil: Bereits bei der Anzucht der Pflanzen ist weitaus weniger Wasser notwendig als bei der beliebten Baumwolle.
Es bleibt die Frage, wie die technischen Innovationen der neuartigen Verbundmaterialien – vor allem im Bereich der Smart-Textilien – mit dem Thema Umweltfreundlichkeit in Einklang zu bringen sind. Denn natürlich brauchen sie zum Funktionieren offensichtlich Strom und sollten dafür Batterien oder Akkus zum Einsatz kommen, könnte das bei wachsender Zahl an Wearables zu einer großen Umweltbelastung werden.
Auch hier wird aber bereits an einer Lösung gefeilt: Textilien, welche am Körper getragen werden, könnten sich durch den sogenannten Piezoeffekt selbst mit Strom versorgen – oder sogar zusätzlichen Strom für beispielsweise das Smartphone erzeugen. Viele Anwendungen benötigen tatsächlich nur sehr geringe Energiemengen, um zu funktionieren. Offen bleibt allerdings auch hier, wie gut sich die Materialien nach dem Gebrauch recyceln und in ihre Bestandteile zerlegen lassen.
Derzeit herrscht im Bereich der Textilien und damit auch für die Kleidung der Zukunft also eine regelrechte Innovationsflut. Welche Ideen sich schlussendlich durchsetzen werden und welche nicht, bleibt daher spannend.
Zudem wird sich die Forschung voraussichtlich weiter diversifizieren. Während sich viele Wissenschaftler und Erfinder derzeit nämlich mit Textilien für Kleidung und Accessoires auseinandersetzen, haben sich einige Forscher eine andere Nische gesucht. Denn auch weitere Branchen, wie beispielsweise die Bauwirtschaft oder die Automobilindustrie, sind an den neuen Möglichkeiten im Bereich der Textilien interessiert.
Science, doi: 10.1126/sciadv.1600327