Robert Klatt
Wissenschaftler haben ein neues Glas-Verbund-Material mit hoher Bruchfestigkeit entwickelt. Die Idee basiert auf der Struktur von Perlmutt von Muschelschalen.
Montreal (Kanada). Glas gehört aufgrund seiner Transparenz und Widerstandsfähigkeit zu den wichtigsten Nutzmaterialien der Industrie. Die Einsatzmöglichkeiten des Materials sind durch die geringe Bruchfestigkeit jedoch stark eingeschränkt. Prinzipiell kann die Bruchfestigkeit durch zusätzliche Techniken wie Laminieren und Härten zwar deutlich erhöht werden, diese sind aber sehr teuer und funktionieren nur solange die Oberfläche nicht beschädigt wird. Die Forschung versucht deshalb seit Längerem ein Glas mit erhöhter Bruchfestigkeit zu entwickeln.
Erfolgreich waren dabei nun Wissenschaftler der McGill University, die sich an einem Vorbild aus der Natur orientiert waren. „Die Evolution ist ein Meister des Designs. Wenn man die Struktur biologischer Materialien studiert und versteht, wie sie funktionieren, kann man sich von ihnen inspirieren lassen und sie als Vorlage für neue Materialien nutzen“, erklärt Allen Ehrlicher.
Laut ihrer Publikation im Fachmagazin Science basiert das bruchfeste Glas auf den Eigenschaften des Perlmutts von Muschelschalen. „Erstaunlicherweise hat Perlmutt die Eigenschaften eines steifen Materials, aber auch die Widerstandsfähigkeit eines weichen“, erklärt Ehrlicher. Möglich ist dies durch eine Kombination von kleinsten Kalkplättchen und weichen Proteinen, die gemeinsam im Perlmutt ein Verbundmaterial mit einer backsteinmauerartigen Struktur bilden. „Sie verleiht dem Perlmutt eine Festigkeit, die 3000-mal höher ist als die der Einzelmaterialien“, so Ehrlicher.
Zuvor versuchten bereits andere Forschungsgruppen dieses System auf ein neues Glasmaterial zu übertragen, scheiterten aber an der geringen Transparenz und am komplexen Herstellungsfahren. Das Team um Ehrlicher hat deshalb einen alternativen Ansatz verwendet, bei dem die Eigenschaften des Perlmutts durch eine Kombination aus dünnen Schichten aus Glasflocken und weichen Kunststoff nachgebildet werden. In die typische Struktur des Perlmutts werden die Ausgangsmaterialien durch einen Zentrifugationsprozess gebracht.
Den Wissenschaftlern gelang es so, ein kostengünstiges Glasmaterial mit hoher Bruchstabilität herzustellen. Das Glas war aber noch nicht transparent. Gelöst wurde dieses Problem durch eine Modifikation des verwendeten Kunststoffs. „Es gelang uns schließlich, den Brechungsindex des Acryls so einzustellen, dass es nahtlos mit dem Glas verschmilzt und einen wirklich transparenten Verbundwerkstoff ergibt“, erklärt Ali Amini.
Schlussendlich ist es dem Team so gelungen, ein Glas-Verbund-Material zu entwickeln, dass leicht zu produzieren ist und bessere Eigenschaften als alte Versionen besitzt. „Bis jetzt musste man Kompromisse zwischen hoher Festigkeit, Zähigkeit und Transparenz eingehen. Unser neues Material ist nun fünfmal bruchfester als normales Glas“, konstatiert Ehrlicher.
In Zukunft könnte das neue Glas dank seiner Eigenschaften zum Beispiel Displays von Smartphones schützen. Bevor das Material auf den Markt kommt, wollen die Entwickler es aber noch weiter optimieren. Geplant ist unter anderem die Implementierung zusätzlicher Komponenten, die die Farbe, Leitfähigkeit und Mechanik verändern sollen.
Science, doi: 10.1126/science.abf0277