Robert Klatt
In den U.S.A. würde die Luftqualität durch das Abschalten von Atomkraftwerken kurzfristig deutlich schlechter werden. In den Folgejahren des Atomausstiegs käme es deshalb zu zusätzlichen Todesfällen.
Cambridge (U.S.A.). In den U.S.A. sind aktuell 92 Atomkraftwerke aktiv, die etwa 20 Prozent des Stroms erzeugen. Aktuell wird darüber debattiert, ob die alten Atomkraftwerke stillgelegt oder modernisiert werden sollen. Viele Politiker sind in dieser Diskussion überzeugt, dass die Kernenergie weiter einen hohen Stellenwert in der Stromproduktion haben soll, weil sie laut ihnen eine klimafreundliche Alternative zu fossilen Brennstoffen ist. Kürzlich kam eine Studie jedoch zu dem Ergebnis, dass Atomkraftwerke nicht gegen den Klimawandel helfen und ökonomisch nicht sinnvoll sind.
Wissenschaftler des Massachusetts Institute of Technology (MIT) haben nun untersucht, wie sich das Abschalten von Atomkraftwerken in den U.S.A. auf die dortige Luftqualität auswirken würde. Laut ihrer Publikation im Fachmagazin Nature Energy berechneten sie, welchen Effekt entstehen würde, wenn man alle Atomkraftwerke abgeschaltet und diese durch Strom aus Kohle, Öl und Gas und aus erneuerbaren Energiequellen ersetzt. Wie Lyssa Freese erklärt, ist dies ein Faktor, der bei den politischen Diskussionen kaum beachtet wird.
„Dies fügt der Gleichung der ökologischen und sozialen Auswirkungen eine weitere Ebene hinzu, wenn man über die Abschaltung von Kernkraftwerken nachdenkt, bei der sich die Diskussion oft auf lokale Risiken aufgrund von Unfällen und Bergbau oder langfristigen Klimaauswirkungen konzentriert.“
Wie Noelle Selin erklärt, würde die Luftqualität im ersten Jahr nach der Umstellung durch die erhöhte Nutzung fossiler Brennstoffe deutlich abnehmen. Laut der Modellrechnung würden dadurch 5.200 Menschen zusätzlich sterben.
„In der Debatte um die Weiterführung von Kernkraftwerken stand die Luftqualität nicht im Mittelpunkt der Diskussion. Wir haben festgestellt, dass die Luftverschmutzung durch fossile Kraftwerke so schädlich ist, dass alles, was sie erhöht, wie die Abschaltung von Kernkraftwerken, erhebliche Auswirkungen haben wird, und zwar für einige Menschen mehr als für andere.“
In den kommenden Jahren würde sich die Luftqualität wieder deutlich verbessern, wenn es zu einem starken Ausbau erneuerbarer Energiequellen kommt. Trotzdem wäre die Luftqualität in manchen Regionen des Landes bis zum Jahr 2030 noch schlechter als aktuell. Dies würde jährlich zu 260 zusätzlichen Todesfällen führen.
Insbesondere die afroamerikanische Bevölkerung scheint gemäß den Berechnungen von der Verschlechterung betroffen zu sein. Eine überproportional hohe Anzahl dieser Bevölkerungsgruppe wohnt in unmittelbarer Nähe zu Kraftwerken, die fossile Brennstoffe nutzen. Allerdings gibt es auch regionale Unterschiede: Die Ostküste der Vereinigten Staaten ist etwa stärker von Umweltverschmutzung betroffen als die Westküste, da im Osten eine größere Anzahl an Kernkraftwerken angesiedelt ist, die ersetzt werden müssen.
Wie Freese erklärt, macht die Studie somit deutlich, dass man auch den indirekten Anstieg von CO₂-Emissionen beim Atomausstieg berücksichtigen muss.
„Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir die Kernkraftwerke abschalten, wenn wir sie als Teil eines Energiesystems betrachten wollen. Die Abschaltung eines Kraftwerks, das selbst keine direkten Emissionen verursacht, kann dennoch zu einem Anstieg der Emissionen führen, weil das Netzsystem darauf reagieren wird.“
Die Studienautoren empfehlen laut Selin, den starken Ausbau erneuerbaren Energiequellen, um die Lücken in der Stromproduktion zu schließen.
„Das könnte bedeuten, dass wir noch mehr erneuerbare Energien einsetzen müssen, um die Lücke zu füllen, die die Kernenergie, die letztlich eine emissionsfreie Energiequelle ist, hinterlässt. Andernfalls werden wir eine Verringerung der Luftqualität haben, mit der wir nicht unbedingt gerechnet haben.“
Nature Energy, doi: 10.1038/s41560-023-01241-8