Robert Klatt
Mineralien im Schmelzwasser von Gletschern lösen einen Verwitterungsprozess aus, der große Mengen CO2 aus der Atmosphäre bindet. Sollten die Gletscher noch weiter zurückgehen, könnte diese natürliche CO2-Senke allerdings verschwinden und den Klimawandel weiter beschleunigen.
Edmonton (Kanada). In der Wissenschaft gelten die Regenwälder der Erde, obwohl diese laut einer aktuellen Studie unter bestimmten Bedingungen eine positive CO2-Nettobilanz aufweisen können, also mehr CO2 abgeben als sie aufnehmen, als die größten CO2-Speicher des Planeten. Forscher der University of Alberta haben nun herausgefunden, dass auch das Schmelzwasser von Gletschern CO2 aus der Atmosphäre bindet und so den Klimawandel verlangsamt. Laut der im Fachmagazin PNAS veröffentlichten Studie binden einige Schmelzwasserflüsse der kanadischen Arktis pro Fläche sogar doppelt so viel CO2 wie der Regenwald des Amazonasgebiets.
Dies ist überraschend, da Flüsse und Seen in den meisten Fällen eine positive CO2-Nettobilanz besitzen. Besonders Stauseen verursachen große Mengen an CO2-Emissionen, die durch verrottendes Pflanzenmaterial und andere organische Substanzen im Wasser entstehen. Nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft erzeugen allein die globalen Binnengewässer einen CO2-Ausstoß, der etwa zehn Prozent dessen entspricht, was die Nutzung fossiler Brennstoffe wie Kohle und Erdgas erzeugt.
Kyra St. Pierre, Autorin der Studie erklärt, dass „gletschergespeiste Flüsse und Seen bisher bei der Untersuchung des CO2-Kreislaufs weitgehend übersehen wurden.“ Da ihr Wasser im Gegensatz zu Seen und Flüssen aus wärmeren Regionen allerdings deutlich weniger organisches Material enthält und stattdessen viele Mineralien befördert, entsteht im Schmelzwasser der Gletscher ein Reaktion, die effektiv CO2 bindet. Verantwortlich dafür sind „frisch erodierten und reaktiven Sedimente“, bei deren schnellen chemischen Verwitterung Calciumcarbonate und andere calciumhaltige Verbindungen mit CO2 reagieren und so gelöstes Calcium und Kohlensäure erzeugen.
Wie viel CO2 diese Reaktionen tatsächlich binden, haben die Wissenschaftler rund um St. Pierre auf der zu Kanada gehörenden Ellesmere-Insel untersucht, deren 544 Quadratkilometer große Lake Hazen durch Schmelzwasser von elf Gletscherflüssen gespeist wird. Eine Analyse des Wassers des Sees und von sieben der elf zubringende Flüsse während des Sommers zeigte, dass der CO2-Gehalt deutlich unterhalb des CO2-Gleichgewichts der Luft lag.
Es zeigte sich, dass die CO2-Sättigung des Wassers umso geringer wurde, umso weiter das Wasser von der Stelle entfernt war, in der es vom Gletscher abschmolz. Eine Messung der im Wasser enthaltenen Kohlenstoffisotope zeigte, dass der geringer werdende CO2-Anteil auf durch Mineralien ausgelöste chemische Verwitterung zurückzuführen ist.
Da die Verwitterungsreaktion das ohnehin im Wasser vorhandene CO2 nach kurzer Zeit aufbracht, wird um die Reaktion in Gang zu halten ständig CO2 aus der Luft entzogen. Dies führt dazu, dass der CO2-Anteil in der Atmosphäre geringer wird, da das Gas als anorganisches Kohlenstoff und in Form von Ionen und Siliziumverbindungen im Wasser gebunden wird. Laut den Autoren der Studie binden allein der Lake Hazen und die verbundenen Flüsse pro Jahr etwa tausend Tonnen CO2. Die Menge ist damit umgerechnet auf die Fläche doppelt so hoch wie beim Amazons Regenwald. Pro Quadratmeter kann der See bis zu sechs Gramm CO2 binden, was sogar um den Faktor 40 höher ist als beim Amazonas.
Die Wissenschaftler resümieren, dass die Gletscherflüsse deshalb eine wichtige CO2-Senke darstellen, die bisher kaum Beachtung erhalten hat, obwohl sie zumindest regional betrachtet den CO2-Anteil in der Atmosphäre signifikant verringert. Anzumerken ist jedoch, dass die CO2-Aufnahme der Gletscherflüsse und Seen je nach Jahreszeit starken Schwankungen unterworfen ist und nur bei genügend neuem Schmelzwasser große Mengen CO2 bindet. Derzeitige Prognosen gehen davon, dass die CO2-Senke noch bis Mitte dieses Jahrhunderts wachsen wird. Sollten die Gletscher aber wie Satelliten-Aufnahmen zeigen weiter zurückgehen, würde kein neues Schmelzwasser mehr nachkommen und somit würde auch der CO2-bindende Verwitterungsprozess stoppen.
PNAS, doi: 10.1073/pnas.1904241116