Robert Klatt
Ein nuklearer Winter würde zu einem Einbruch der landwirtschaftlichen Erträge führen. Eine Studie hat nun untersucht, ob die Fischerei nach einem Atomkrieg eine Nahrungsmittelknappheit verhindern könnte.
Barcelona (Spanien). Laut Daten der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) existieren auf der Erde derzeit etwa 13.400 Atomwaffen. Ein Großteil (93 %) davon gehören den U.S.A. (5.800) und Russland (6.375), die übrigen Atomwaffen gehören China (320), Frankreich (290), Großbritannien (215), Indien (150) Israel (90), Pakistan (160) und Nordkorea (30). Die ICAN schätzt, dass 4.000 dieser Sprengköpfe jederzeit einsatzbereit sind, 1.800 Sprengköpfe können ihre Ziele innerhalb weniger Minuten erreichen.
Eine Studie zeigte kürzlich, dass selbst ein lokaler Atomkrieg zwischen Indien und Pakistan etwa 125 Millionen Menschen unmittelbar töten würde. Außerdem würde der in die Erdatmosphäre aufsteigende Ruß zu einem nuklearen Winter führen, in dem die Erträge der Landwirtschaft einbrechen. Ob bei einem Atomkrieg auch das Leben im Meer stark einbricht, hat die 2019 veröffentlichte Studie hingegen nicht analysiert.
Forscher der Universitat Autònoma de Barcelona um Kim Scherrer haben deshalb simuliert, wie stark ein nuklearer Winter die Meere beeinflussen würde. Das Ziel der Fachmagazin PNAS publizierten Studie war herauszufinden, ob die Nahrungsmittelknappheit während eines nuklearen Winters durch zusätzliche Fischerei kompensiert werden kann.
Die Wissenschaftler simulierten dazu sechs Atomkriegsszenarien zwischen den U.S.A. und Russland sowie Indien und Pakistan. Der Fokus dabei lag auf der globalen Abkühlung der Meere und deren Einfluss auf die dortige Biomasse. Außerdem analysierten die Wissenschaftler, wie verschiedene Strategien zum Fischereimanagement in den Jahren vor einem Krieg sich auf die Fischbestände auswirken würden und wie die plötzlich deutlich steigende Nachfrage nach Fisch und Meeresfrüchten die Bestände beeinflussen würde.
Im schlimmsten der simulierten Szenarien, einem totalen Atomkrieg zwischen Russland und den U.S.A., würde die Fischbestände um etwa 30 Prozent einbrechen. Ein lokaler Atomkrieg zwischen Indien und Pakistan, bei dem „nur“ einige Hundert atomare Sprengköpfe explodieren würden, käme es zumindest zu einem Einbruch der Fischbestände von vier Prozent.
Vorausgesetzt, dass eine ausreichende Infrastruktur an Schiffen und Verarbeitungsanlagen einen Atomkrieg überstehen würde, könnten die globalen Fischereierträge trotzdem kurzfristig erhöht werden, um die geringere Nahrungsmittelproduktion der Landwirtschaft auszugleichen. Innerhalb von ein bis zwei Jahren würde dies die Fischbestände aber zerstören, was zu deutlich Einbußen in der Fischerei führen würde. Die gesunkenen Erträge der Landwirtschaft könnten dann nicht mehr ausgeglichen werden.
Um die Verluste der marinen Biomasse zu begrenzen, ist laut den Autoren eine nachhaltige Fischerei und ein Schutz der Meere in Friedenszeiten unerlässlich.
Kim Scherrer: „Ich war überrascht, wie groß der Effekt wäre. Es ist eine große Herausforderung, die Fischerei nachhaltig zu gestalten, aber unsere Studie zeigt, dass dies neben allen anderen Vorteilen auch dazu beitragen würde, globale Nahrungsmittelkrisen abzumildern.“
Würde man Maßnahmen gegen Überfischung nun umsetzen, wäre es laut den Studienautoren bei einem Atomkrieg möglich über mehrere Jahre 40 Prozent der durch die Fleischproduktion gedeckten Proteinbedarfs durch Fisch zu ersetzen.
PNAS, doi: 10.1073/pnas.2008256117