Großverbraucher unter der Lupe

Deutschlands 5 energieintensivste Branchen im Porträt

Dennis L.

Deutschlands energieintensive Branchen sind gleichsam das wirtschaftliche Rückgrat der Nation. Reduzierte Energieverbräuche sind daher fast unmöglich, lediglich eine Umwandlung bei den Energieträgern. )kcotS ebodAikcyzrabk(Foto: © 

Noch nie zuvor wurde so vielen Deutschen so stark bewusst, wie abhängig das Land von Energie ist. Allerdings sind die besonders energiehungrigen Branchen ebenso unverzichtbare Erbringer von Steuermitteln und Bereitsteller von Arbeitsplätzen.

Wohl nur wenige noch lebende Deutsche mussten sich vor dem Winter 2022/2023 schon einmal die bange Frage stellen, ob die Erdgasreserven reichen werden (Stand Ende Januar 2023 dürften sie es wohl tun). Und kein Einwohner dieses Landes musste jemals annähernd so tief in die Tasche greifen, um etwas so Alltägliches wie elektrischen Strom bezahlen zu können – selbst wenn die Preise zuletzt wieder ein wenig gesunken sind.

Der Ukraine-Krieg mit all seinen Lieferschwierigkeiten und Boykotten hat vielen Deutschen nachdrücklich gezeigt, wie sehr Energie im Allgemeinen und verschiedene (fossile) Energieträger im Besonderen das allgemeine Leben bestimmen. Die vorherige Selbstverständlichkeit rückte plötzlich in den Fokus.

Immer wieder erklingen deswegen Rufe, „die Wirtschaft“ oder „die Industrie“ möge gefälligst ihren Energieverbrauch reduzieren. Fraglos verständliche Forderungen. Allerdings sind sie vielfach – zumindest kurzfristig – kaum zu erfüllen, ohne ganz erhebliche Einbußen zu verursachen. Denn die Wirtschaft ist einer der wichtigsten Erzeuger von Steuereinnahmen:

  • Direkt, etwa durch die Umsatzsteuer oder die Gewerbesteuer.
  • Indirekt durch die von den Angestellten erbrachten Lohnsteuern oder die Mehrwertsteuern, weil die Gehälter Käufe ermöglichen.

Von den 833,189 Milliarden Euro Steuereinnahmen anno 2021 entspringt deshalb ein ganz erheblicher Teil einer leistungsfähigen Wirtschaft. Muss diese weniger Energie verbrauchen, dann kann ein hochgefährlicher Kreislauf entstehen, an dessen Ende das gesamte Land leidet – zulasten von Arbeitsplätzen, Steuereinahmen und letztlich sogar dem ganzen Wirtschaftsstandort.

„Die hohen Energiekosten stellen die Wirtschaft und insbesondere die Industrie vor große Herausforderungen. […] Die Zukunftsfähigkeit unserer Industrie wird davon abhängen, ob und wann wir wettbewerbsfähige Strompreise sicherstellen können. Diese Konkurrenz gibt es schon länger. Sie spitzt sich nun aber zu.“

So sagte es die neue DGB-Chefin Yasmin Fahimi im Sommer 2022 in einem Interview mit der Hans-Böckler-Stiftung.

Doch wer sind die besonders energieintensiven Branchen? Weshalb benötigen sie so viel davon und was kann realistisch getan werden, ohne die Leistungsfähigkeit zu schmälern?

(Hinweis: Die Energieverbräuche in Terajoule beziehen sich auf die aktuellen Zahlen des statistischen Bundesamtes, die das Jahr 2020 betrachten)

1. Chemische Industrie (1,446 Mio. TJ)

Deutschlands chemische Industrie ist nicht nur weitverzweigt, sondern gehört zu den leistungsfähigsten der ganzen Welt. Aufgrund der enormen Vielfalt von Rohstoffen und den daraus erzeugbaren Zwischen- und Endprodukten besteht hier ein immenser Bedarf für Energie und Energieträger. 2017 beispielsweise wurden allein 18,1 Millionen Tonnen fossile Rohstoffe in Form von Erdgas, Erdöl und Kohle benötigt.

Lässt sich der Energieverbrauch verringern?

Nein, kaum. Viele Prozesse in dieser Industrie benötigen schlicht eine bestimmte Energiemenge. Etwa zum Bereitstellen und Halten von Prozesswärme, ohne die bestimmte chemische Prozesse nicht ablaufen können. Allerdings versucht die Branche schon seit längerer Zeit, zumindest dort, wo es möglich ist, wegzukommen von fossilen Energieträgern, die nicht zur stofflichen Verwendung benötigt werden.

Daher fordert man hier auch besonders vehement mehr Ökostrom ein. Denn in den kommenden Jahren dürfte sich der diesbezügliche Energieverbrauch eher noch steigern.

Wie sieht die Zukunft aus?

Neben günstigem (Öko-) Strom zur direkten Nutzung versucht die Industrie ebenfalls, die Abhängigkeit von den fossilen Energieträgern zur stofflichen Nutzung zu verringern. Insbesondere Erdgas spielt hier eine wichtige Rolle. Aktuell ist es der wichtigste Ausgangsstoff für die Ammoniaksynthese.

Da allerdings dabei zunächst Wasserstoff gewonnen wird, könnte die Synthese im Power-to-Ammonia-Verfahren ebenso auf der elektrolytischen Herstellung dieses leichtesten Elements fußen – was ebenfalls massive Mengen an vor allem günstigem Ökostrom benötigt, um wirtschaftlich zu sein.

2. Metallerzeugung und -verarbeitung (0,681 Mio. TJ)

Deutschland mag nicht mehr das Land der Stahlkocher von einst sein. Dennoch ist seine Metallindustrie die mit Abstand bedeutendste in der EU und hat sich international einen guten Namen gemacht. Insbesondere für die Herstellung von Spezialstählen mit hochkomplexer Metallurgie – etwas, das die Massenhersteller wie China bislang (noch) nicht hinreichend präzise beherrschen.

Die Stahlherstellung steht zudem in ihrem komplexen Ablauf dafür, wie sich hier der Bedarf an Energie und Energieträgern samt des Schafstoffausstoßes verhält:

  • Einerseits benötigt die Verflüssigung des Metalls bzw. seine weitere Erhitzung für spätere Umformungen schlicht bestimmte Mindesttemperaturen und somit -energiemengen. Ähnliches gilt für sekundärmetallurgische Prozesse wie das Legieren und – noch später – Anlassen von gehärtetem Stahl.
  • Andererseits muss das Roheisen bereits von zu viel Sauerstoff befreit werden. Dafür kommt hauptsächlich Kokskohle zum Einsatz, was durch die chemische Reaktion wiederum für enorme Mengen von Kohlendioxid-Emissionen sorgt.

Lässt sich der Energieverbrauch verringern?

Nein. Ähnlich wie in der chemischen Industrie sind hier bestimmte Energiemengen nötig. Zwar werden beim Recycling häufig elektrische Lichtbogenöfen genutzt, da jedoch in Roheisen besagte Reduktionsprozesse erfolgen müssen, ist dies kein tragfähiger Weg für alle Anwendungen.

Wie sieht die Zukunft aus?

Die setzt ebenfalls massiv auf grünen Wasserstoff. Dieser kann als Alternative zu Koks als Reduktionsmittel genutzt werden. Erste Anlagen laufen aktuell im Testbetrieb. Doch erneut gilt: Der Bedarf an günstigem Ökostrom ist gigantisch, nicht zuletzt zur Herstellung des nötigen Wasserstoffs.

3. Kokerei und Mineralölerzeugnisse (0,545 Mio. TJ)

Die Notwendigkeit zur Herstellung von Koks aus Kohle ist aufs Engste mit der Metallindustrie verzahnt, ferner entstehen hierbei für die chemische Industrie wichtige Nebenprodukte wie Schwefel, Benzol oder Ammoniak. Die Industrie der Mineralölerzeugnisse ist wiederum mit Schiff- und Luftfahrt sowie dem Landtransport verbunden.

Damit handelt es sich bei diesen energieintensiven Industriezweigen letzten Endes um solche, die sich auf einem absteigenden Ast befinden.

Lässt sich der Energieverbrauch verringern?

Nicht wesentlich. Beide Techniken sind schon alt und lassen aufgrund der langen Entwicklung kaum noch nennenswerte Optimierungen der Verbräuche zu. Zudem ist es, insbesondere bei der Kokerei, schwierig, noch Investitionsmittel für weitere Optimierungen freizumachen. Einerseits übernimmt China einen beständig größeren Anteil der Produktion, andererseits wird der wichtigste hiesige Abnehmer – die Metallindustrie – mittelfristig auf Wasserstoff umschwenken.

Wie sieht die Zukunft aus?

Gut für Verbräuche und Umwelt, schlecht für die Doppelbranche an sich. Zwar wird sich die Mineralölbranche noch länger halten. Aufgrund der Elektrifizierung des Landverkehrs wird sie jedoch in den kommenden Jahrzehnten deutlich schrumpfen. Zwar gibt es noch keine wirklich tragfähigen Kraftstoffalternativen für Luft- und Seefahrt, ferner werden die Schmierstoffe dieses Industriezweigs selbst in einer mit anderen Energieträgern betriebenen Zukunft noch eine Rolle spielen. Insgesamt jedoch dürfte die Bedeutung deutlich zurückgehen.

4. Schifffahrt (0,353 Mio. TJ)

Deutschland ist eine Schifffahrtsnation. Zum einen auf seinen beiden wichtigen Meeren Nord- und Ostsee, zum anderen (und häufig etwas übersehen) auf seinen zahlreichen Wasserstraßen. Der Rhein etwa ist Europas mit Abstand wichtigste Binnenwasserstraße. Zirka 80 Prozent des gesamten schwimmenden Güterverkehrs laufen wenigstens einen Teil des Weges zwischen niederländischer und schweizerischer Grenze und verbinden dadurch beispielsweise wichtige Nordseehäfen mit dem Hinterland.

Lässt sich der Energieverbrauch verringern?

Zwar wird praktisch der gesamte schwimmende Güterverkehr durch fossile Kraftstoffe betrieben, namentlich Diesel und andere Erdölderivate. Allerdings wäre es aus Umweltsicht tatsächlich fatal, würde diese Branche ihren Verbrauch verringern.

Das nämlich würde bedeuten, dass sich Transporte auf andere Wege verlagern, was hinsichtlich der Verbräuche eine suboptimale Alternative wäre. Ein Binnenschiff bringt es pro transportierte Tonnage auf ähnliche Werte wie eine Lokomotive, konkret etwa je ein Drittel weniger Energieverbrauch und CO2-Ausstoß im Vergleich mit dem LKW-Transport.

Zur Reduzierung des Straßentransports wäre es daher sogar wünschenswert, den Binnenschiffstransport und somit dessen Gesamtenergieverbrauch auszubauen.

Wie sieht die Zukunft aus?

Antriebstechnisch sauberer. Schon heute gelten bei neuen Binnenschiffen recht strenge Abgaswerte. Immerhin zirka sechs Prozent aller Neubauten werden mit dem weniger problematischen Flüssiggas betrieben. Mittel- bis langfristig möchte diese Branche allerdings ebenfalls weitgehend von den fossilen Energieträgern wegkommen. Derzeit am weitesten fortgeschritten sind die Entwicklungen für Binnenschiffe auf sehr kurzen Strecken (etwa Fähren oder Binnenseeschiffe). Hier werden Batterieantriebe derzeit erforscht und bei einem geringen Prozentsatz neuer Schiffe bereits verbaut.

Langfristig dürfte die Zukunft jedoch bei Wasserstoff liegen. Entweder als E-Fuel oder in Brennstoffzellen.

5. Glas, Keramik, Steine und Erden (0,353 Mio. TJ)

Wann immer derartige Erzeugnisse dieser breit aufgestellten Multibranche hergestellt und verarbeitet werden müssen, ist sehr viel Hitze vonnöten. Einen Vorteil gibt es hierbei allerdings: Im Gegensatz zu anderen Branchen wird hierbei tatsächlich hauptsächlich Hitze benötigt, keine energieintensiven Reduktionsprozesse.

Lässt sich der Energieverbrauch verringern?

Erneut: Fast nicht. Die Stoffe benötigen ihre Hitze, um aufzuschmelzen, um getrocknet, verformt oder auf andere Arten be- und verarbeitet zu werden. Aus klimatischer Sicht ist dies ein etwas geringeres Problem, da in dieser Branche hauptsächlich Erdgas genutzt wird, was zumindest hinsichtlich der Schadstoffemissionen weniger schwierig ist als andere fossile Energieträger.

Wie sieht die Zukunft aus?

Diese basiert hauptsächlich auf stromerzeugter Prozesswärme sowie der Verbrennung von grünem Wasserstoff. Tatsächlich gehören deshalb Teile der Branche zu den einfacher in eine regenerative Zukunft transformierbaren Wirtschaftszweigen.

6. Weitere Branchen im Überblick

  • Nahrungsmittelindustrie: 0,302 Mio. TJ
  • Papierindustrie: 0,291 Mio. TJ
  • Landverkehr/-transport: 0,274 Mio. TJ*
  • Luftfahrt: 0,170 Mio. TJ*

*Diese Branchen wiesen aufgrund der Pandemie im Betrachtungsjahr 2020 massiv und ungewöhnlich reduzierte Verbräuche auf. Bei der Luftfahrt etwa waren es 2019 noch 0,397 Millionen Terajoule.

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