Robert Klatt
Der Klimawandel führt zu einer immer schnelleren Eisschmelze in der Arktis. In Nordeuropa könnte dies durch komplexe Rückkopplungsmechanismen zu Kältewellen führen.
Tromsø (Norwegen). Die Forschung geht davon aus, dass der Arktische Ozean aufgrund des Klimawandels bereits ab 2050 im Sommer eisfrei ist. Eine internationale Gruppe aus renommierten Wissenschaftlern hat deshalb kürzlich einen offenen Brief (PDF) publiziert, laut dem die Eisschmelze in der Arktis zu großen Veränderungen der Meeresströmungen im Atlantik führen könnte, die verheerende und irreversible Auswirkungen hätten.
Es ist bereits seit Langem bekannt, dass die Nordsee zwischen Grönland und Norwegen entscheidend für den Wärmetransport ist und das Wetter in Nordeuropa stark beeinflusst. Analysen zeigen zudem, dass im letzten Interglazial, dem Zeitraum zwischen zwei Kalt- oder Eiszeiten, vor mehr als 100.000 Jahren, die globale Mitteltemperatur höher war als aktuell, dass die Meeresspiegel höher waren und dass das Eisvolumen geringer war.
Forscher der University of Tromsø – The Arctic University of Norway haben nun eine Studie publiziert, die untersucht hat, wie das wärme werdende Klima und die daraus resultierende Eisschmelze in der Arktis die Meeresströmungen und die regionalen Meeresoberflächentemperaturen beeinflusst hat.
Laut ihrer Publikation im Fachmagazin Nature Communications hat das Schmelzen des Meereises im letzten Interglazial die Dichte und den Salzgehalt des Meerwassers signifikant verändert. Daraufhin kam es deutlichen Veränderungen der Meeresströmungen und der Wärmeverteilung in den Ozeanen.
Ermittelt haben die Forscher dies mithilfe einer Kombination aus biologischen, anorganischen und organischen geochemischen Markern aus Sedimentkernen, die in der Nordsee gesammelt wurden. Diese Sedimente speichern Informationen über die Ozeanbedingungen über sehr lange Zeiträume. Analysen der chemischen Signaturen können unter anderem die Meeresoberflächentemperaturen und Salzgehalte, Quellen für Süßwassereinträge sowie Prozesse der Tiefenwasserbildung rekonstruieren.
Wie Mohamed Ezat erklärt, haben diese Prozesse in Nordeuropa zu einem deutlichen Rückgang der Temperatur geführt. Laut dem Forscher ist es deshalb auch heute wichtig, die Prozesse des letzten Interglazials und ihre Einflüsse auf das Klima zu verstehen, weil die vergangene Warmzeit die Bedeutung von Rückkopplungsmechanismen im Klimasystem zeigt.
„Unsere Entdeckung, dass das verstärkte Schmelzen von arktischem Meereis in der Vergangenheit der Erde wahrscheinlich zu einer signifikanten Abkühlung in Nordeuropa geführt hat, ist alarmierend. Dies erinnert uns daran, dass das Klimasystem des Planeten ein empfindliches Gleichgewicht darstellt, das leicht durch Änderungen in Temperatur und Eisbedeckung gestört werden kann.“
Angesichts der zunehmenden Eisschmelze in der Arktis könnte es auch heute passieren, dass sich die Ozeanströmungen erneut stark verändern und dass es dadurch in Nordeuropa erneut zu Kältewellen kommt. Laut Ezat sind aber viele Forschungsfragen noch immer offen.
„Wir können viel aus der offenen Frage zur Abkühlung im norwegischen Meer während des letzten Interglazials und potenziell verantwortlichen Prozessen lernen. Wir hoffen, dass unsere Studie einen Maßstab für Klimamodellierer bietet, um diese Zeitperiode zu nutzen und die Auswirkungen von Eisveränderungen auf das regionale und globale Klima besser einzugrenzen.“
Nature Communications, doi: 10.1038/s41467-024-53401-3