Robert Klatt
Eine zehnjährige Langzeitstudie zeigt, dass in allen Regionen von Deutschland die Insektenanzahl, Artenanzahl und Biomasse deutlich zurückgegangen ist. Besonders betroffen sind Grün- und Waldflächen in der Nähe landwirtschaftlich genutzter Flächen.
München (Deutschland). Obwohl die Umwelt in Deutschland im Vergleich zu anderen Industrieländern auf den ersten Blick in einem guten Zustand zu sein scheint, zeigte eine im Jahr 2017 im Fachmagazin PLOS ONE veröffentlichte Studie, dass die aus Insekten bestehende Biomasse in Naturschutzgebieten in 27 Jahren um 76 Prozent abgenommen hat. Außerdem ist laut einer im Jahr 2019 im wissenschaftlichen Journal Insect Conservation and Diversity publizierten Studie die Anzahl der Schmetterlinge im Umfeld der Landwirtschaft um zwei Drittel gesunken.
Nun haben Wissenschaftler der Technischen Universität München und der Julius-Maximilians-Universität Würzburg im renommierten Magazin Nature erstmals eine Studie veröffentlicht, die die Gesamtsituation der in Deutschland vorkommenden Insektenpopulation erfasst. Wie Sebastian Seibold, Autor der Studie erklärt, „haben sich bisherige Studien entweder ausschließlich auf die Biomasse, also das Gesamtgewicht aller Insekten, oder auf einzelne Arten oder Artengruppen konzentriert.“ Aufgrund der unzureichenden Datenlage war es laut dem Wissenschaftler jedoch schwer, die Ursachen einzugrenzen, die für den Insektenrückgang verantwortlich sind.
Im Rahmen der von 2008 bis 2017 andauernden Langzeitstudie haben die Wissenschaftler rund um Siebold die Insektenvorkommen in 140 Waldgebieten und 150 Grünlandflächen untersucht. Dabei wurden die Biomasse, die Artenanzahl und die Häufigkeit der Tiere erfasst. Gefunden wurden insgesamt mehr als eine Million Insekten aus 2.700 verschiedenen Arten.
Das Ergebnis der Studie ist erschreckend. Wie die Forscher berichten, gab es keine Wiesen- oder Waldfläche, die vom Rückgang der Insekten verschont blieben. Im Durchschnitt sank innerhalb des zehnjährigen Untersuchungszeitraums die Anzahl der Arten in Grünflächen um 34 Prozent. Die Biomasse der Arthropoden in sank um 67 Prozent, die Häufigkeit ging sogar um 78 Prozent zurück.
Auch in den untersuchen Waldflächen haben die Wissenschaftler einen starken Insektenschwund festgestellt. Im Vergleich zum Jahr 2008 ist die dortige Biomasse im Jahr 2017 um 41 Prozent geringer. Die Anzahl der Arten sank um 36 Prozent. Der im Vergleich zu den Grünflächen geringere Rückgang ist auf die in den Wäldern häufiger vorkommenden pflanzenfressenden Arthropoden zurückzuführen, deren Menge sogar leicht gestiegen ist. Wie Seibold erklärt „demonstriert das, dass der Schwund nicht auf offene Habitate beschränkt ist.“
Laut Wolfgang Weisser, Co-Autor der Studie „haben die Wissenschaftler nicht erwartet, dass solch ein Rückgang über nur ein Jahrzehnt festgestellt werden kann.“ Er fügt hinzu, dass „das erschreckend ist, aber in das Bild passt, das immer mehr Studien zeichnen.“ Die Ergebnisse der Studie bestätigen damit nicht nur vorherige Untersuchungen, sondern belegen auch, dass der Rückgang die Artenanzahl, die Häufigkeit und die Biomasse betrifft.
Laut Siebold ist es besonders besorgniserregend, dass „dieser Rückgang konsistent in allen Ebenen der Nahrungskette zu beobachten ist, also bei Herbivoren, Pilz- und Detritusfressern, Allesfressern und räuberischen Arthropoden.“ Bisherige Studien haben nicht gezeigt, dass der Insektenrückgang tatsächlich alle Gruppen betrifft. Überdies zeigen die Daten, dass der Insektenrückgang trotz zahlreicher Schutzbemühungen in den letzten Jahren exponentiell angestiegen ist.
Obwohl die Studie die für den Insektenrückgang verantwortlichen Gründe nicht untersucht hat, geben die gesammelten Daten Hinweise auf die Ursachen, weil besonders im Umfeld der Landwirtschaft der Rückgang der Arthropoden stark ausfiel. Seibold konstatiert daher, dass „dies darauf hindeutet, dass die Ursachen für den Rückgang der Arthropoden im Grünland mit der Landwirtschaft zusammenhängen.“ Ebenfalls dafür spricht, dass in den Waldgegenden vor allen die Insekten in geringer Zahl gefunden wurden, die häufig auch Gebiete außerhalb des Waldes aufsuchen und so mit der Landwirtschaft in Kontakt kommen.
Zusammenfassend erklären die Studienautoren, dass „ihre Ergebnisse unterstreichen, dass wir einen Paradigmenwandel in der Landnutzung auf nationaler und internationaler Ebene brauchen, um dem Artenrückgang in offenen und bewaldeten Lebensräumen entgegenzuwirken.“ Sie fordern daher „koordinierte Maßnahmen über Landschaften und Regionen hinweg.“
PLOS ONE, doi: 10.1371/journal.pone.0185809
Insect Conservation and Diversity, doi: 10.1111/icad.12343
Nature, doi: 10.1038/s41586-019-1684-3