Robert Klatt
Urban Gardening ist in Deutschland beliebt. Eine Studie hat nun untersucht, ob eine Großstadt ihr gesamtes Gemüse selbst anbauen könnte.
Wuppertal (Deutschland). In Deutschland hat Urban Gardening, eine Bewegung hin zur Eigenversorgung mit frischem Obst, Gemüse und Kräutern, die direkt in städtischen Grünflächen oder in gemeinsam bewirtschafteten Gärten angebaut werden, in den letzten Jahren zunehmend an Beliebtheit gewonnen. Der Ansatz soll nicht nur die nachhaltige Erzeugung von Lebensmittel und die Biodiversität fördern, sondern auch zu mehr sozialen Zusammenhalt durch das gemeinschaftliche Säen, Pflegen und Ernten führen.
Forscher des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie gGmbH um Dr. Diego Rybski haben nun untersucht, ob die Großstadt Berlin mit dem lokalen Gemüseanbau in der urbanen Landwirtschaft ihren Bedarf decken kann. In Berlin gibt es derzeit etwa 200 Gemeinschaftsgärten und über 73.000 Kleingärten, in deren Hochbeeten und Gewächshäusern Gemüse und andere Nahrungsmittel angebaut werden. Laut der Publikation im Fachmagazin Sustainable Cities and Society könnte Berlin mit seinen aktuellen Anbauflächen etwa 82 Prozent seines Gemüsebedarfs selbst produzieren.
„Wir haben abgeschätzt, dass sich in Berlin mehr als 4.000 Hektar für den Gemüseanbau eignen – das sind fast fünf Prozent der Hauptstadt.“
Um 100 Prozent des Gemüsebedarfs selbst produzieren zu können, müsste Berlin etwa 753 Millionen Euro investieren. Dies entspricht weniger als 0,5 Prozent der Bruttoinlandsprodukts (BIP) der Stadt. Die Investitionen wären etwa nötig, um alle geeigneten Flächen mit ausreichend Wasser versorgen zu können. Außerdem müsste geklärt werden, ob die Gartenarbeiten von Privatpersonen oder von professionellen Gärtnern übernommen werden würden.
Das lokal produzierte Gemüse würde laut den Forscher zwischen zwei und zehn Euro pro Kilogramm kosten. Obwohl dies teurer als bei importierten Gemüse ist, hätte die lokale Gemüseproduktion laut Rybski viele Vorteile, darunter die kürzeren Transportwege und die daraus resultierenden geringeren CO₂-Emissionen.
„Wenn wir unser Gemüse lokal anbauen, dann könnte das Stadtleben lebenswerter und gesünder werden. Wir bringen die Natur in die Großstadt und fördern so die Gemeinschaft und die Biodiversität.“
Forscher der University of Michigan (UMich) um Jason K. Hawes haben kürzlich im Fachmagazin Nature Cities eine Studie publiziert, die teilweise den Ergebnissen des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie gGmbH widerspricht. Die Studie basiert auf Daten aus den U.S.A., Großbritannien, Deutschland, Frankreich und Polen, in denen Bürgerforscher bei insgesamt 73 Standorten erfasst haben, welche Ressourcen die urbane Landwirtschaft benötigt.
Laut den Beobachtungen verursacht Gemüse aus dem städtischen Anbau bis zu sechsmal höhere CO₂-Emissionen als aus der konventionellen Landwirtschaft, wenn alle benötigten Ressourcen, darunter Zäune, Gewächshäuser, die teilweise über eine Heizung verfügen, Schädlingsbekämpfungsmittel und Dünger, berücksichtigt werden. Die meisten CO₂-Emissionen entfallen dabei auf die Infrastruktur, deren Baumaterialien keine gute Klimabilanz haben.
„Sie sind in der Regel nur einige Jahre oder ein Jahrzehnt im Einsatz, sodass die Treibhausgase, die zur Herstellung dieser Materialien verwendet werden, nicht effektiv genutzt werden.“
Die Wissenschaftler sprechen sich trotzdem für das Urban Gardening aus, das laut ihnen eine Schlüsselrolle in den zukünftigen nachhaltigen Städten spielen wird. Sie erklären jedoch, dass der CO₂-Fußabdruck stärker berücksichtigt werden sollte, um den lokalen Gemüseanbau klimaverträglicher zu gestalten.
Sustainable Cities and Society, doi: 10.1016/j.scs.2022.104362
Nature Cities, doi: 10.1038/s44284-023-00023-3