Robert Klatt
Manipulierte Cyanobakterien könnten die gesamte Kunststoffproduktion revolutionieren und die Menschheit mit Bioplastik ohne Schadstoffe und Müllproblem versorgen.
Tübingen (Deutschland). Die globale Plastikproduktion wird im nächsten Jahrzehnt laut Prognosen um etwa 40 Prozent steigen. Dies ist besonders problematisch, weil der Hauptteil des Plastiks nicht recycelt wird, sondern in der Umwelt landet. In Deutschland liegt die Recyclingquote von Plastikmüll laut einer Studie des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und der Heinrich-Böll-Stiftung zum Beispiel bei nur 16 Prozent. Es ist daher nicht überraschend, dass Mikroplastik inzwischen in fast allen Regionen der Erde und sogar in Organen des Menschen nachgewiesen wurde.
Lösen sollen das Problem umweltfreundlichere Kunststoffe, die unter anderem aus Mais, Zuckerrohr und Bioabfall hergestellt werden können. Studien zeigten jedoch, dass auch dieses Bioplastik nicht vollumfänglich abgebaut werden kann und teilweise sogar giftig ist. Die Wissenschaft sucht deshalb weiterhin noch umwelt- und gesundheitsfreundlichen Alternativen.
Laut Wissenschaftlern der Eberhard Karls Universität könnten Cyanobakterien der Gattung Synechocystis das Problem lösen. Diese Bakterien erzeugen aus Wasser, Kohlendioxid und Sonnenlicht per Photosynthese als Nebenprodukt das Polyester Polyhydroxybutyrat (PHB). Im Vergleich zur herkömmlichen Polyester ist PHB zwar etwas spröder, kann aber in Verbindung mit weiteren Polymere als Bioplastik verwendet werden.
Der Vorteil von Plastik auf PHB-Basis ist, dass die Umwelt dieses schadstofffrei und relativ schnell abbauen kann. Laut der Publikation im Fachmagazin PNAS produzieren Cyanobakterien aber nur eine winzige Menge des Polyesters. Das Team um Moritz Koch hat deshalb untersucht, ob man die Bakterien so manipulieren kann, dass sie eine größere Menge des Naturstoffs herstellen.
Die Untersuchung der Cyanobakterien zeigt, dass ein Protein als natürliche „Bremse“ die zelluläre Produktion von PHB limitiert. Das Regulatorprotein PirC sorgt stattdessen dafür, dass die Zellen den Kohlenstoff zur Glykolyse verwenden. Eine Deaktivierung des Regulatorproteins wurde die Produktion des mikrobiellen PHB demnach deutlich erhöhen.
Moritz Koch: „Die Aufhebung dieser Funktion ermöglicht die Umlenkung des Kohlenstoffflusses.“
Die Wissenschaftler hemmten deshalb durch das Vorgaukeln eines Überangebots der Glykolyseprodukte die Aktivität des PirC-Proteins. Überdies deaktivierten sie zwei Gene der Cyanobakterien, die am Polyhydroxybutyrat-Stoffwechsel beteiligt sind. Anschließend ließen sie den Bakterienstamm unter unterschiedlichen Licht- und Kulturbedingungen wachsen und dokumentieren die PHB-Produktion.
Es zeigte sich dabei, dass die Änderungen am Erbgut und am Polyhydroxybutyrat-Stoffwechsel die PHB-Produktion deutlich erhöhten.
Moritz Koch: „Wenn die Zellen in einem stickstoff- und phosphorarmen Medium wuchsen, produzierten sie bis zu 63 Prozent PHB pro Zelltrockengewicht. Nach Zugabe von Acetat wurde der Gehalt weiter auf 81 Prozent pro Zelltrockengewicht gesteigert“, so die Forscher weiter. „Das ist der mit Abstand höchste PHB-Wert, der je bei einem Cyanobakterium beobachtet wurde.“
Mit dem Elektronenmikroskop ist die Überproduktion des natürlichen PHBs an der Konzentration von PHB-Körnchen in den Bakterienzellen deutlich sichtbar.
Moritz Koch: „Wir haben regelrechte Plastikbakterien erschaffen.“
Weitere Optimierungen sollen langfristig dafür sorgen, dass ein industrieller Einsatz der Bakterien möglich wird.
Karl Forchhammer: „Die industrielle Relevanz dieser Form von Bioplastik kann kaum überschätzt werden.“
Moritz Koch: „Einmal in der Industrie etabliert könnte die gesamte Kunststoffproduktion revolutioniert werden.“
Neben dem Polyester PHB könnten solche Mikroorganismen auch andere Plastikvorstufen und Materialien für die chemische Industrie erzeugen.
Moritz Koch: „Es ist plausibel anzunehmen, dass die Blockade der PirC-Regulation bei Cyanobakterien auch für die Bioproduktion anderer Metabolite eingesetzt werden kann, wie beispielsweise von Succinat, Malat, von Lipiden oder Fettsäuren.“
PNAS, doi: 10.1073/pnas.2019988118