Robert Klatt
Flüssen auf allen Kontinenten enthalten Medikamente in gefährlich hohen Konzentrationen. Besonders stark belastet ist das Wasser in ärmeren Ländern. Deutschland ist aber auch betroffen.
York (England). Laut einer Studie der University of York sind weltweit viele Flüsse mit Arzneimitteln belastet. Das Team um John Wilkinson untersuchte für die Studie, die ein Teil des Global Monitoring of Pharmaceuticals Project ist, mehr als 1.000 Wasserproben auf 61 pharmazeutische Stoffe. Entnommen wurden die Wasserproben in 258 Flüssen aus 104 Staaten.
Laut ihrer Publikation im Fachmagazin PNAS fanden die Wissenschaftler die höchste Arzneimittelbelastung in Lahore (Pakistan). Danach folgen La Paz (Bolivien) und Addis Abeba (Äthiopien). Einzig in Wasserproben aus Island und aus einer Stadt in Venezuela wurden keine Wirkstoffe entdeckt.
Im Mittel waren Proben aus afrikanischen und asiatischen Ländern an stärksten kontaminiert. In Europa wurde das am meisten mit Medikamenten belastete Wasser in Madrid (Spanien) entdeckt. Auch in den Wasserproben aus Deutschland, die in der Havel, der Spree, dem Neckar, der Ammer und dem Main entnommen wurden, fanden die Forscher Arzneimittel.
Am häufigsten enthielten die Wasserproben Antiepileptikum Carbamazepin und das Diabetes-Medikament Metformin. Koffein, Nikotin, das Schmerzmittel Paracetamol und Cotinin, ein Abbauprodukt von Nikotin, wurden in Wasserproben von allen Kontinenten entdeckt. Mehr als ein Viertel der Wasserproben enthielt zumindest einen Wirkstoff in einer potenziell toxischen Konzentration.
Wie die Wissenschaftler erklären, können die Wirkstoffe nicht nur der Umwelt schaden, sondern auch die menschliche Gesundheit beinträchtigen. Besonders „im Hinblick auf die Selektion von Antibiotikaresistenzen“ machen die Studiendaten laut den Forschern Anlass zur Sorge.
Bisher haben sich Studien vor allem auf Flüsse in Nordamerika, Westeuropa und China konzentriert. Die nun publizierte Studie war deshalb nötig, um das globale Ausmaß des Problems verstehen zu können.
Zudem zeigen die Daten einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Wohlstand und der Demografie eines Landes und der Arzneimittelverschmutzung der Flüsse. Laut der Untersuchung korreliert der sozioökonomische Status eines Landes stark mit der Höhe der Verschmutzung. In Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen sind die Flüsse demnach stärker verschmutzt als in vermögenderen Ländern. Außerdem ist die Verschmutzung in Regionen mit hohen lokalen Arbeitslosen- und Armutsraten und mit einem hohen Durchschnittsalter überdurchschnittlich stark.
Als Quelle der Verschmutzung nennen die Autoren Müll sowie Fäkalien, die in die Flüsse eingeleitet werden. Zudem sind Hersteller von Arzneimitteln für die Verschmutzung verantwortlich, wenn diese Rückstände der Produktion ungeklärt in die Flüsse einleiten. Dies bestätigen auch Wasserproben, die entnommen wurden, wo pharmazeutische Unternehmen Einträge ihrer Produktion in das Wasser einleiten, etwa in Barisal (Bangladesch) und in Lagos (Nigeria). Die Studie belegt somit, dass strengere Umweltschutzauflagen und eine verstärkte Überwachung notwendig sind.
PNAS, doi: 10.1073/pnas.2113947119