Robert Klatt
Die Masse der Technosphäre, dies sind alle Materialien und Strukturen des Menschen, hat die lebende Biomasse der Erde übertroffen. Pro Woche erzeugt der Mensch etwa so viel neues anthropogenes Material wie er selbst wiegt.
Rechovot (Israel). Der Mensch hat mit seinen Städten, Straßen und großen Bauwerken wie zum Beispiel Staudämmen, die inzwischen drei Viertel aller Flüsse einschränken, die Erde stärker verändert als jedes andere Lebewesen. Laut einer im Fachmagazin PNAS publizierten Studie existieren pro Mensch 115 Tonnen anthropogene Materialien, eine im The Anthropocene Review erschienene Studie kam sogar auf noch mehr menschengemachte Materialien.
Wissenschaftler des Weizmann Institute of Science in Israel haben nun untersucht, welchen Einfluss die Gesamtheit der Technosphäre auf die Lebewesen und die Umwelt der Erde haben. Dazu verglichen sie laut ihrer Publikation in der Fachzeitschrift Nature die Masse aller vom Menschen erzeugten Gegenstände aus synthetischen Stoffen wie Plastik sowie aus Stein, Beton, Metall und Holz mit der globalen Biomasse, also allen lebenden Wesen der Erde.
Emily Elhacham: „Die Biomasse mit etwas so anderem wie der menschengemachten Materialmasse zu vergleichen, geht weit über den Vergleich von Äpfel mit Birnen hinaus – es ist eher der Vergleich von Äpfeln mit iPhones. Es liefert zudem ein weiteres symbolisches Merkmal des Anthropozäns.“
Zum Vergleich der Biomasse und der anthropogenen Masse nutzten die Wissenschaftler ein komplexes Modell, das sowohl die Trockenmasse als auch die Nassmasse berücksichtigt. Außerdem wuerden anthropogenen Materialien wie Abraumhalden, Abfälle und Ruinen, also Materialien, die nicht mehr aktiv genutzt werden, separat betrachtet. Emissionen, Bergbau-Abraum und ausgebaggerte Sedimente werden in der Modellrechnung nicht berücksichtigt.
Laut dem Ergebnis liegt das Trockengewicht der lebenden Biomasse bei etwa einer Billion Tonnen (Teratonnen). Die Körper der Weltbevölkerung haben daran nur einen verschwindend geringen Anteil (0,01 %). Der Hauptteil (90 %) geht hingegen auf Wälder und die übrige Vegetation zurück. Berücksichtigt man auch das dort enthaltene Wasser kommt die Biomasse auf insgesamt 2,2 Teratonnen.
Die Technosphäre, also alle menschengemachten Materialien, können laut der Modellrechnung auf insgesamt 1,1 Teratonnen. Der Hauptanteil davon entfällt auf Straßen und Gebäude, also Materialien wie Beton und Schotter.
In den kommenden Jahrzehnten wird der Anteil anthropogener Masse weiter steigen, weil der Mensch weiterhin große Materialmengen produziert, während die globale Biomasse stagniert oder sogar zurückgeht. Laut Elhacham „hat die Akkumulation von anthropogener Masse 30 Gigatonen pro Jahr erreicht.“ Der Mensch produziert damit etwa pro Woche so viel neues anthropogenes Material wie er selbst wiegt.
Die Welt hat laut den Studienautoren im Jahr 2020 somit einen Wendepunkt einreicht, bei dem die anthropogene Masse erstmals die Biomasse des Planeten übertrifft. Wie Elhacham erklärt, „ist allein die globale Masse des produzierten Plastiks größer als die aller Land- und Wassertieren zusammen.“
Die Studie stützt laut den Wissenschaftlern somit die Einstufung der aktuellen Ära als Anthropozän, in dem die Dominanz anthropogener Materialien und Strukturen nicht mehr aufzuhalten ist. Laut den Wissenschaftlern „könnte die anthropogene Masse einschließlich der Abfälle das Trockengewicht der globalen Biomasse bis zum Jahr 2040 um das Dreifache übertreffen.“
PNAS, doi: 10.1073/pnas.1613773114
The Anthropocene Review, doi: 10.1177/2053019616677743
Nature, doi: 10.1038/s41586-020-3010-5