Robert Klatt
Neue Messdaten zeigen die radioaktive Belastung in der Sperrzone von Tschernobyl detailliert. Angesichts des Krieges in der Ukraine kommt den Daten eine besonders Bedeutung zu.
Salzgitter (Deutschland). Anlässlich des 36. Jahrestags der Explosion im Atomkraftwerk Tschernobyl am 26. April 1986 hat das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) in einem Gemeinschaftsprojekt mit ukrainischen Strahlenschutzbehörden die Radioaktivität in der Region neu gemessen. Es handelt sich dabei um die erste radiologische Kartierung des Gebiets seit etwa 30 Jahren. Durchgeführt wurden die Radioaktivitätsmessungen der etwa 2.600 Quadratkilometer großem Sperrzone von Hubschraubern.
Auf Basis der Messdaten hat das BfS zwei Übersichtskarten erstellt. Eine Karte zeigt die Belastung der Böden mit Cäsium-137, die zweite Karte die sogenannte Gamma-Ortsdosisleistung. Anhand der Ortsdosisleistung lässt sich ablesen, wie sehr die Strahlung auf Menschen wirkt. Laut den Wissenschaftlern geht die Ortsdosisleistungswerte in Tschernobyl fast ausschließlich auf Cäsium-137 zurück. Die Halbwertszeit dieses radioaktiven Isotops liegt bei 30 Jahren. Die übrigen radioaktiven Stoffe wie etwa Jod-131 sind in Tschernobyl aufgrund der deutlich kürzeren Halbwertszeiten nicht mehr nachweisbar.
„Bei den Messungen in Tschernobyl standen wir vor einer besonderen Herausforderung: Gelangen bei einem Unfall radioaktive Stoffe in die Umwelt, lagern sie sich direkt auf dem Boden ab. 35 Jahre nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl sind die radioaktiven Stoffe aber mehrere Zentimeter tief in den Boden gewandert“, erklärt BfS-Projektleiter Christopher Strobl.
Neben den Messungen aus der Luft führten die Behörde deshalb an zweihundert Punkten Messungen am Boden durch. Zudem entnahmen sie zahlreiche Bodenproben, um zu analysieren, wie tief die radioaktiven Stoffe eingedrungen sind.
Die Messdaten und Karten ermöglichen eine genaue Übersicht über die Strahlenbelastung in der Sperrzone von Tschernobyl. Laut ihnen ist die radioaktive Belastung stark unterschiedlich verteilt. Besonders stark ist diese im Westen und im Norden des Reaktors, weil nach dem Unfall der Wind primär in diese Richtungen wehte. In den besonders stark kontaminierten Regionen wurde im Boden eine Belastung von maximal 50.000 Kilobecquerel pro Quadratmeter entdeckt. Die Gammastrahlenbelastung liegt dort bei 100 Mikrosievert pro Stunde, also bei einem Zehntel der zulässigen Jahresdosis für Menschen.
In einigen Regionen der Sperrzone von Tschernobyl ist die Belastung bereits deutlich geringen. Gemessen wurden dort 0,06 Mikrosievert pro Stunde. Die natürliche Ortsdosisleistung in Deutschland liegt je nach Region zwischen 0,06 und 0,2 Mikrosievert pro Stunde. Auch die Cäsiumbelastung ist in Teilen der Sperrzone mit nur wenigen Kilobecquerel pro Quadratmeter sehr gering. In der Luft liegt die Nachweisgrenze bei etwa 20 Kilobecquerel pro Quadratmeter.
Die neuen Messdaten sind relevant, weil sie zeigen, wie lange Menschen ohne Gesundheitsgefahr in der Sperrzone arbeiten können. Dies ist etwa für die Feuerwehr wichtig, die rund um das ehemalige Atomkraftwerk regelmäßig Waldbrände löschen muss.
Zudem haben die Messdaten angesichts des Ukrainekrieges eine besonders Bedeutung. Laut automatischen Messdaten nahm die Strahlung zum Teil stark zu, nachdem russische Truppen die Sperrzone eingenommen hatten. Dies lag daran, weil die Geschosseinschläge und die vielen Militärfahrzeuge den Boden aufgewirbelt hatten.